Artemis – kleiner ging es nicht in Ingolstadt. Es musste Zeus Tochter sein, die Göttin der Jagd. Artemis heißt eine Projektgruppe, die für den neuen Audi-Chef Markus Duesmann das Lenkrad herumreißen soll. Eigentlich tut sie es für Konzern-Chef Herbert Diess, denn der steht aktuell enorm unter Beschuss. Im Volkswagen-Konzern läuft es nicht rund: Der Golf 8, Aushängeschild und Cash-Cow der Marke VW, läuft fehlerhaft vom Band. Ok, nicht alle, aber rund zwei Drittel der Fahrzeuge. Volkswagen rechnet pro Tag mit 650 Fehlern bei den 1.500 pro Tag produzierten Golf. Doch die Qualitätskontrolle erfasst aktuell mehr als 2000 Fehler, schreibt Business Insider. Zu einem großen Teil sind es Softwareprobleme, die Mitarbeiter zu Nacharbeiten zwingen. Das wichtigste Werkzeug dabei: Eine Ratsche mit 10er Nuss. Das Prinzip kennt jeder PC- Nutzer von daheim. Mit der Ratsche wird der Kontakt zur Batterie gelöst. Manchmal hilft halt nur einer harter Reset. So ist es auch beim Golf. Manchmal funktioniert der Trick, manchmal nicht, heißt es im Bericht. Da der vorgeschriebene Notruf-Assistent (eCall) im Golf nicht funktioniert, wird das neue Modell derzeit überhaupt nicht ausgeliefert. Das betrifft alle Fahrzeuge auf Golf-Basis, also Audi A3, Skoda Octavia und Seat Leon.
Auch beim kommenden Vorzeigeprojekt, dem ID3, verursacht die Software Probleme. Das Elektroauto soll im Sommer an Kunden übergeben werden. Eine finale Softwareversion werde kurz vor der Auslieferung manuell in jedem einzelnen Fahrzeug aufgespielt, alle weiteren Updates erfolgen Over-the-Air, also aus der Ferne.
Prozessoren zu schwach
Liest man die diversen Berichte zu den Schwierigkeiten, kristallisiert sich heraus, dass die einzelnen technischen Systeme funktionsfähig sind. Doch wenn sie zusammenarbeiten sollen, beginnen die Probleme. Die Prozessoren im ID3 schaffen die Datenmengen nicht. Ein Beispiel: Das Head-up-Display soll neben Geschwindigkeit und Tempolimit auch die dynamische Routenberechnung anzeigen. Doch die Route anhand von Echtzeit-Verkehrsdaten, aktuellem Energieverbrauch und eventuell notwendigen Ladestopps zu berechnen, bringt das Gesamtsystem über den Rand seiner Leistungsfähigkeit hinaus. Wie VW ein derartiges Problem lösen will, ohne bei den Funktionen kräftig abzuspecken, bleibt ein Rätsel.
Energieeffizienz verbessern
Aber es beschreibt die Probleme bei Volkswagen mit Elektroautos, ach, der gesamten deutschen Autoindustrie, sehr gut. Die Leistungsdaten bei reinen E-Autos bleiben stets hinter Branchenprimus Tesla zurück. Während man vor einigen Jahren noch hämische Scherze über Tesla-Boss Elon Musk und sein defizitäres Unternehmen machte, ist allen Automanagern das Lachen inzwischen vergangen. Zumal Elon Musk heute der dienstälteste CEO eines Autoherstellers ist. Wichtiger aber noch sind seine Erfolge beim Absatz der E-Autos. Kein europäischer Hersteller kann bei Konnektivität, eigenem Ladenetz, Beschleunigung, Reichweite und Batteriekapazität mithalten. Gut, bei einzelnen Werten mögen sie hier und da besser sein als Tesla. Doch der entscheidende Wert ist die Energieeffizienz. Also wie viele Kilowattstunden werden für 100 km Fahrt benötigt. Da müssen die Ingenieure von I-Pace, EQC und e-Tron noch mal ran. Während man es mit einem Tesla unter der 20 kWh-Marke bleiben kann, schafft das keines der genannten Modelle. Genau darum heißt es in der Artemis-Pressemeldung: “Der erste Auftrag ist ein hocheffizientes Elektroauto, das bereits 2024 auf die Straße kommen soll.”
Tesla kann nun auch Metall biegen
Natürlich spielen Roll- und Luftwiderstand sowie Gewicht eine Rolle, doch Energieeffizienz ist bei E-Autos auch ein Softwarethema. Es geht um die gleichmäßige Belastung jeder einzelnen Zelle, beim Beschleunigen, Laden und Rekuperieren. “Tesla verkauft Software, die fahrbar ist“, sagt Kfz-Gutachter Ove Kröger. Er muss es wissen, er fährt Tesla, berät Käufer und betreibt den Youtube-Kanal T&T Emobility.
Nicht zufällig sitzt Tesla im Silicon Valley, dem Epizentrum der Softwareentwicklung. Anfänglich haben alle nur auf das große Touch-Display und seine tollen Funktionen geschaut. Doch die Magie der Code-Zeilen wirkt viel stärker im Fahrzeugboden.
Klar, im Metallbiegen waren die europäischen Hersteller lange besser. Spaltmaße und so. Doch das kann man lernen. Während Sandy Munro beim Model 3 noch viel zu kritisieren hatte, ist er voll des Lobes für das Model Y und die Lernkurve, die die Tesla-Ingenieure bei der Konstruktion des Kompakt-SUV hingelegt haben. Munro ist ehemaliger Ford-Mitarbeiter. Sein Unternehmen in der Nähe von Detroit nimmt neue Autos auseinander und verkauft die detaillierten Analysen an Wettbewerber.
Artemis ist eine Herkules-Aufgabe
VW-Boss Diess braucht schnelle Erfolge. Betriebsrat, Mitarbeiter, Anteilseigner und Kunden machen Druck. Die Aufgabe traut er wohl am ehesten seiner Marke Audi zu (Vorsprung durch Technik). Aretmis soll schnell und unbürokratisch ein wegweisendes Modell für Audi entwickeln. Dabei stehen der Gruppe die Ressourcen und Technologien des gesamten Volkswagen Konzerns zur Verfügung, wird Audi-CEO Duesmann in der Pressemitteilung zitiert. Jeder, der die Abläufe im VW-Konzern kennt, hätte die Arbeitsgruppe eher Herkules genannt. Denn “unbürokratisch” und “schnell” etwas im Konzern zu bewegen, ist eher eine Herkules-Aufgabe. Aber es geht um eine Jagd, um die Aufholjagd zu Tesla. Darum also die Göttin der Jagd.
Beineiden kann man Alex Hitzinger um den Chefposten im Projektteam nicht. Es wirkt von außen wie eine unlösbare Aufgabe. Artemis soll nicht nur ein Elektroauto für Audi entwickeln. Duesmann und seine Konzern-Kollegen erhoffen sich mehr: “Mittelfristig erwarte ich mir von Artemis eine Blaupause für einen schnellen und agilen Entwicklungsprozess im Konzern, so agil wie bei einem Rennteam.“ Schließlich plant VW bis 2029 mit 75 E-Modellen. Das Projektteam erhält große Freiheitsgrade und soll global vom Hightech-Hub IN Campus in Ingolstadt als auch an der US-Westküste arbeiten. Digitale Angebote wird die konzerneigene car.Software.org beisteuern (Link funktioniert bei mir nicht). “Im Fokus von Artemis stehen neue Technologien rund um das elektrische, hoch-automatisierte Fahren mit konkretem Modellbezug. Das Kreativteam wird außerdem ein weitreichendes Ökosystem um das Auto herum schaffen und so ein neues Geschäftsmodell für die gesamte Nutzungsphase entwerfen“, heißt es im Pressetext.
Der Mann für die Aufholjagd
Wer ist Alex Hitzinger? Als bisheriger Markenvorstand für Technische Entwicklung bei den VW-Nutzfahrzeugen leitete Hitzinger als Senior Vice President zugleich im Konzern das Thema Autonomes Fahren. Hitzinger startete seine Karriere als Entwicklungsingenieur bei Toyota Motorsport. Bei Ford/Cosworth war er der jüngste Chefentwickler in der Formel 1. Nach Red Bull Technology kam Hitzinger in den Volkswagen Konzern und baute bei Porsche das Motorsport-Team auf. Nach drei Jahren bei Apple im Silicon Valley, wo er die Produktentwicklung für autonome Fahrzeuge aufbaute und leitete, kam Hitzinger 2019 zurück in den Volkswagen Konzern. Den Silicon Valley-Spirit bringt Hitzinger also mit. Man kann dem Manager nur die Daumen drücken.
Hoffentlich wiederholt sich Geschichte bei VW nicht: Ende 2015 warb man Johann Jungwirth bei Apple ab. Er sollte die Digitalisierung als auch das Thema autonomes Fahren bei VW vorantreiben. Jay Jay, wie er intern genannt wurde, sollte den Silicon Valley-Spirit nach Wolfsburg bringen. Das ging nicht lange gut, er verließ im Mai 2019 den Konzern. Heute treibt er Mobility as a Service bei Mobileye in Israel voran.