Markus Duesmann ist der Formel 1-Mann. Er war 2005 bei Mercedes-Benz Leiter Entwicklung Formel 1 in Brixworth in Großbritannien und zwei Jahre später Leiter der Formel 1 Motorentwicklung bei BMW, bevor er im April 2020 den Audi-Vorstandsvorsitzend übernahm. Seine Formel 1-Leidenschaft wollte Duesmann auch bei Audi fortsetzen. Im August 2022 gab der Hersteller den Einstieg in die Königsklasse des Rennsports bekannt. Nun wird Markus Duesmann ab September 2023 in seiner Rolle als Audi-CEO von Gernot Döllner abgelöst. Was bedeutet das für Audis Engagement in der Formel 1?
Feigenblatt: Hybrid-Antrieb in der Formel 1
Bereits vor dem Chefwechsel ergab das Engagement von Audi wenig Sinn. Ab 2026 will Audi mit eigenem Team an den Start gehen. Es ist das Jahr, in dem keine neuen Verbrenner von Audi mehr entwickelt werden. Spätestens 2033 ist bei Audi Schluß mit Kolben, Kat und Auspuff. Für den Einstieg in die Verbrenner-Rennserie wird stets ein technisches Feigenblatt herangezogen: Hybrid-Antrieb. Die Formel 1 stellt mit dem Audi-Einstieg auf Hybrid-Motoren um. Immerhin bis zu 50 Prozent der Leistung soll durch einen E-Motor kommt, samt Rückgewinnung der Bremsenergie.
11 vs. 15 Prozent E-Auto-Anteil bei den Zulassungen
Mit drei Modelreihen (Q4 e-tron, Q8 e-tron und e-tron GT) ist die Marke mit den vier Ringen in der Elektromobilität schon ganz passabel aufgestellt. In den kommenden zwei Jahren kommen mindestens zehn weitere Modelle mit reinem E-Antrieb hinzu. Im ersten Halbjahr 2023 wurden 14.415 E-Audis laut Kraftfahrtbundesamt zugelassen. Das ist ein Anteil von 11 Prozent an allen Audi-Zulassungen.
Erstaunlicherweise hat Porsche mit 15 Prozent einen höheren E-Autoanteil bei den Halbjahres-Zulassungen 2023 (2.748 E-Autos bei 18.362 Zulassungen). Gut, bei der Sportwagenmarke gibt es bislang mit dem Taycan nur ein einziges E-Auto und Audi ist mit 125.584 Zulassungen eine andere Größenordnung.
75 Jahre Rennsportgeschichte
Das könnte ein Pro-Argument für Audi sein. Die Strahlkraft der Formel 1 soll auf die größere Marke wirken. Doch in meiner Wahrnehmung ist Motorsport deutscher Automarken gleichzusetzen mit Porsche. Auch Oliver Blume kann sich für den Sport auf vier Rädern begeistern. Übernachtete er doch beim diesjährigen Langstreckenrennen in Le Mans mit seiner Frau in einem Dachzelt auf einem Porsche 911 Turbo S im Mitarbeiter-Camp. Er gibt sich volksnah. Auch die Formel 1 will Massen begeistern. Porsche würde sich in der Königsklasse mit seiner 75-jährigen Rennsportgeschichte sicher gut machen. Doch im Konzern will man nicht mit zwei Marken vertreten sein. Das ist zum einen zu teuer, zum anderen bekäme der in der Platzierung Unterlegene ein Imageproblem.
Kein Vorsprung mehr durch Technik
Apropos Imageproblem. Das hat Audi längst. Irgendwie steckt die Marke zwischen allen Stühlen. Früher hieß es: “Vorsprung durch Technik”. Doch in der Elektromobilität hat Audi diesen Vorsprung verspielt. Ein Allradantrieb ist in fast allen E-Autos der großen Marken verbaut. Das Drehmoment eines E-Motors lässt jeden Verbrenner in Sachen Sportlichkeit alt aussehen. In Sachen Konnektivität und assistierten Fahrfunktionen hat Audi nicht unbedingt die Nase vorn.
Audi ist eigentlich eine Premium-Marke. Jahrelang bescherte das Flottengeschäft mit Dienst- und Mietwagen das Geschäft. In der Corporate-Hierarchie belegten Angestellte ihren Status, in dem sie einen A6, A7 oder gar einen A8 fahren durften. So kommt Audi in der Konzerneigenen Markenübersicht “Core” gar nicht vor. Doch mit einem A1 konkurrieren sie natürlich mit den kleineren Modellen von VW, Skoda und Cupra (Seat taucht auf den Folien beim Capital Markets Day gar nicht mehr auf). In der Mittel- und Oberklasse haben sie konzernintern weniger Wettbewerber. Doch eine Sportwagenmarke sind sie nicht. Der Audi e-tron GT ist unter dem Blech ein Porsche Taycan. Beim Design des Sportwagens ist den Ingolstädtern ohne Frage ein großer Wurf gelungen. Aber einen Vorsprung durch Technik haben sie hier nicht.
Wiederholung beim Q6 e-tron und Macan E?
Das könnte sich beim Q6 e-tron wiederholen. Beide Unternehmen teilen sich hier die Premium Platform Electric (PPE) des Konzerns. Cariad liefert die Software. In der Version 1.2 soll das Betriebssystem E3 Updates per Datenverbindung (OTA), Fahrassistenten des Level 2+, einen App-Store im Fahrzeugmenü als auch einen AI-basierten Sprachassistenten bekommen. Wofür wird sich der Kunde entscheiden: den elektrischen Macan oder den Q6 e-tron?
Der Volkswagen-Vorstandsvorsitzende und Porsche-Chef äußert sich beim Capital Markets Day am Hockenheimring erstaunlich kritisch über Audi. Massive Softwareprobleme hätten zu Verschiebungen bei geplanten E-Autos (Q6 e-tron, Macan E) geführt, so Oliver Blume. Das ist nicht direkt Audis Schuld, doch der scheidende CEO Duesmann hatte im Konzernvorstand mal die Aufsicht über die Car Software. “Das Portfolio ist nicht mehr wettbewerbsfähig und wahrscheinlich, und das ist noch schlimmer, lässt es Möglichkeiten ungenutzt“, sagt Blume im Video bei 1:25:35 über Audi.
Audi wird eine Sportwagenmarke?
In der Neuorganisation gehört Audi zur Markengruppe “Progressive”, zusammen mit Bentley, Lamborghini und Ducati. Die Progressivität sieht Oliver Blume ausgerechnet in der Fokussierung auf sportliche Modelle. Die erfolgreiche RS-Line von Audi sei zukünftig ein Wachstumsmotor in der Elektromobilität. Dabei steht RS für Rennsport oder auf Englisch Racing Sports-Line. Eine zweite Sportwagenmarke im Konzern? Das überrascht, aber dann passt ein Formel 1-Einstieg ja doch zu Audi. Aber jucken dürfte es Oliver Blume ganz bestimmt …
Derweil entwickeln über 300 Mitarbeiter bei der Audi Formula Racing GmbH westlich von Ingolstadt in Neuburg an der Donau den Rennmotor mit Hybrid-Technik sowie die Power Unit. Das Chassis liefert der Partner Sauber aus der Schweiz. Weitere Mitarbeiter für das Projekt Formel 1 werden gesucht, wie eine Jobanzeige bei LinkeIn zeigt. Sollte sich Oliver Blume doch noch anders entscheiden, passt das Rot-Orange mit Schwarz vom Audi-Boliden schon mal gut zum Porsche-Logo. Es müssten nur noch die vier Ringe durch ein aufsteigendes Pferd ersetzt werden.
Korrekturhinweis: In einer früheren Version enthielt der Text fehlerhafte Angaben zur Audi-Produktion und der Audi Formula Racing GmbH, die korrigiert wurden.