Die erste Etappe startet bei drei Grad Celcius und Regen am Mercedes-Benz Forschungs- und Entwicklungszentrum in Sindelfingen. Die Route verläuft nach Süden über die A81 in Richtung Schweizer Alpen. Auf der Autobahn fährt der Vision EQXX zeitweise bis zu 140 km/h auf der Überholspur. Mit seinem cW-Wert von 0,17 und einer Stirnfläche von 2,12 m² bietet das E-Auto dem Wind kaum Angriffsfläche. Die hintere Spurbreite ist 50 mm schmaler als vorne, wodurch die Hinterräder im Windschatten der Vorderräder rollen. Der aktive Heckdiffusor, der bei 60 km/h ausfährt, sorgt für eine bessere Luftführung. Die glatte Kuppel des Greenhouse lässt die Luft störungsfrei nach hinten fließen. Die Form des EQXX erinnert an einen Wassertropfen.
Die weitere Route führt durch Norditalien ins französische Cassis an der Côte d’Azur. Insgesamt absolviert der EQXX eine Strecke von 1.008 Kilometern in 11 Stunden und 32 Minuten Fahrtzeit. Der Verbrauch liegt bei erstaunlichen 8,7 kWh auf 100 Kilometer. Die Durchschnittsgeschwindigkeit auf der Strecke beträgt 87,4 km/h. Es gibt keinen Ladestopp. Unter Aufsicht des TÜV Süd wurde der CCS-Ladeanschluss beim Start versiegelt. Nach der Ankunft in Cassis hätte das E-Auto noch 140 km weiter fahren können.
Gewicht: Leichtbau und kompaktere Batterie
„Wir haben es geschafft! Der Vision EQXX ist der effizienteste Mercedes, der jemals gebaut wurde. Das Technologieprogramm, das dahintersteht, markiert einen Meilenstein in der Entwicklung von Elektrofahrzeugen“, sagt Ola Källenius, Vorstandsvorsitzender der Mercedes-Benz Group AG.Die Rekordfahrt ist das Resultat etlicher Faktoren: Aerodynamik, Leichtbau, besondere Reifen sowie ein effizienter Antriebsstrang.
Der Vision EQXX wiegt gerade mal 1.755 kg. Das Leichtbaukonzept setzt auf Kohlenstofffaser-Zucker-Verbundwerkstoffe, aus dem das Oberteil der Batterie besteht und der auch in der Formel 1 eingesetzt wird. Der Heckboden ist aus einem Aluminium-Gussverfahren hergestellt. Das Leichtmetall-Strukturbauteil ersetzt eine deutlich schwerere Baugruppe aus mehreren miteinander verbundenen Teilen. Es hat Lücken an Stellen, an denen keine strukturelle Festigkeit notwendig ist und spart so Material. Dieser Konstruktionsansatz führt zu einer Gewichtseinsparung von bis zu 20 Prozent gegenüber einem konventionell gefertigten Bauteil.
Die neu entwickelte Batterie des EQXX hat mit 100 kWh fast die gleiche Energiemenge wie die EQS Limousine. Allerdings hat sie 50 Prozent weniger Volumen und 30 Prozent weniger Gewicht. Die kompakte Batterie ist nur 200 x 126 x 11 cm groß und wiegt gerade mal 495 Kilogramm. Dabei hat sie eine Energiedichte von knapp 400 Wh/l und arbeitet mit einer Betriebsspannung von mehr als 900 Volt.
Effizienterer Antriebsstrang für den EQXX
Der elektrische Antrieb wurde zusammen mit den Experten vom Mercedes-AMG Petronas F1 Team entwickelt. Der Antriebsstrang – bestehend aus Elektromotor, Getriebe und Leistungselektronik – liefert eine Spitzenleistung von 180 kW. Der mittlere Wirkungsgrad liegt bei 95 Prozent. Das bedeutet, 95 Prozent der Energie aus der Batterie kommen an den Rädern an. Den Ingenieuren ist es gelungen, die Gesamtverluste im Antriebsstrang gegenüber einem klassischen E-Antrieb um 44 Prozent zu reduzieren. Auch das summiert sich: Ein Prozent mehr Effizienz bringt zwei Prozent mehr Reichweite.
Da der Antriebsstrang aufgrund seines hohen Wirkungsgrads weniger Abwärme entwickelt, reicht während der gesamten Fahrt eine passive Kühlung. Die Kühlplatte im Unterboden nutzt die vorbeiströmende Luft und sorgt für eine gleichmäßige Kühlung. Selbst beim Anstieg zum Gotthard-Tunnel blieben die Luftklappen geschlossen, was aerodynamisch die effizienteste Lösung ist.
Reifen mit weniger Rollwiderstand
Reifen der Klasse A weisen normalerweise einen Rollwiderstand von 6,5 Promille auf. Der EQXX fuhr mit einem speziellen Bridestone-Reifen, der gerade mal 4,7 Promille aufweist. Eine auffällige Besonderheit ist die Reifendimension 185/65 R 20 97 T, die für einen großen Durchmesser bei schmaler Lauffläche steht. Die speziellen Turanza Eco-Reifen kombinieren zwei innovative Technologien von Bridgestone, die eine höhere Reichweite ermöglichen: Die so genannte Enliten-Technologie reduziert den Rollwiderstand und das Gewicht um bis zu 20 Prozent. Die Ologic-Technologie verringert die Verformung des Reifens während der Fahrt – unter anderem durch einen stärker gespannten Reifengürtel. Darüber hinaus optimierte das Aerodynamik-Team von Mercedes-Benz den Strömungsübergang vom Reifen zur Felge.
Solardach: Die Sonne speist das Navi
Im Glasdach des EQXX sind 117 Solarzellen integriert. Sie speisen die 12 Volt-Batterie für die Innenbeleuchtung, die Instrumententafeln sowie das Navi. In den sonnigen Abschnitten in Italien und Frankreich nehmen die Photovoltaikzellen jeden Sonnenstrahl mit. Das entlastet die Hochvoltbatterie. Insgesamt vergrößert der Solar-Booster die Reichweite des EQXX um mehr als zwei Prozent – was bei über 1.000 Kilometer Fahrstrecke gute 25 Kilometer ausmacht.
Vision EQXX: Tour-Tagebuch in Zahlen
Start | Sindelfingen, 5. April 2022, 7:00 Uhr |
Ankunft | Cassis, 5. April 2022, 19:02 Uhr |
Fahrtroute | Sindelfingen, Gotthard-Tunnel, Mailand, Cassis |
Fahrstrecke | 1.008 Kilometer |
Fahrzeit gesamt/ in Bewegung | 12 Stunden und 2 Minuten/ 11 Stunden und 32 Minuten |
Durchschnittsgeschwindigkeit | 87,4 km/h |
Höchstgeschwindigkeit auf Autobahn | 140 km/h |
Durchschnittlicher Verbrauch | 8,7 kWh pro 100 km |
Batterieladezustand bei Ankunft (SoC) | rund 15 % |
Restreichweite bei Ankunft | rund 140 km |
Nachtrag: Rekordfahrt über 1.200 km nach England
Nach der Fahrt von Stuttgart nach Cassis legte das Forschungsfahrzeug die Messlatte im Juni 2022 noch höher und absolvierte eine 1.202 Kilometer lange Fahrt von Stuttgart nach Silverstone in Großbritannien.
Nach einer Autobahnsperrung und einer Umleitung in Pforzheim überquerte der EQXX die französische Grenze in der Nähe von Straßburg und fuhr mit Autobahntempo durch Nordfrankreich nach Calais, um dort per Zug den Eurotunnel zu passieren. Auf der Weiterfahrt durch Großbritannien musste er sich dem Verkehr auf der M25 rund um London stellen.
Das Team legte danach einen Zwischenstopp bei Mercedes-Benz Grand Prix in Brackley ein. Weiter ging es nach Silverstone, wo der EQXX von Nyck de Vries in Empfang genommen wurde. Der Niederländer, der für das Mercedes-EQ Formel E Team fährt, entschied sich, den Technologieträger nicht zu schonen und reizte ihn bis zur Höchstgeschwindigkeit von 140 km/h auf der britischen Kultrennstrecke aus. Er drehte elf Runden und nutzte die Restreichweite in der Boxengasse. Der Durchschnittsverbrauch des Roadtrips lag bei 8,3 kWh auf 100 km und damit 0,4 kWh unter der ersten Fahrt.