Was taugt ein Pedelec in der Stadt?

X Raw Klever Mobility Pedelec

Elektroantrieb im Fahrrad – ist das nicht was für total Faule? Nein, so ein Pedelec bringt einen beim Anfahren schnell auf Tempo und man fließt mit dem Verkehr in der Stadt. Im Alurahmen sitzt ein Akku, in der großen Hinterradnabe verbirgt sich ein Elektromotor. Ansonsten sieht das X Raw mit seinen hydraulischen Scheibenbremsen und den dicken Schlappen (2,4 Zoll breite Reifen) wie ein gewöhnliches Sportrad aus. Doch schon beim ersten Tritt in die Pedale werde ich eines besseren belehrt. Das X Raw schießt nach vorn. Daran muss man sich erst mal gewöhnen. Auf dem LCD-Display am Lenker ist die höchste von drei Stufen der Unterstützung eingestellt. Der Motor hilft mir beim Vorwärtskommen, sobald ich in die Pedalen trete.

E-Bike oder Pedelec?

Bevor ich weiter fahre, noch ein wenig Theorie: Ein Pedelec (Pedal Electric Cycle) unterstützt seinen Nutzer bis auf Tempo 25 km/h und auch nur, wenn er oder sie selber tritt. Wer schneller fahren möchte, benötigt ein S-Pedelec, dass bis 45 km/h unterstützt (benötigt ein Mofa-Kennzeichen). Wer gar nicht treten möchte und den Motor allein arbeiten lassen will, benötigt ein eBike – also ein elektrisches Mofa. Diese Begriffsdefinition wird immer wieder munter vermischt. Auch Anbieter Klever Mobility spricht auf seiner Webseite von E-Bikes. Das mag an der Herkunft liegen, denn das taiwanesische Mutterunternehmen KYMCO (Kwang Yang Motor Corporation) produziert seit 1963 Motorräder und -roller. Unter der Marke Klever Mobility (KYMCO Light Electric Vehicles) werden die (S-)Pedelecs vertrieben. Die europäische Zentrale hat ihren Sitz in Köln.

Klever Mobility XRAW Pedelec mit Biactron Hinterradmorot

Daher kommt auch mein Testrad, mit dem ich das Elbufer entlang fahre. Drehmoment- und Trittfrequenzsensoren messen, wie viel Kraft mein Tritt auf die Kette ausübt. Die Steuereinheit kalkuliert daraus, wie stark mich der Motor unterstützt und zwar so, dass ein harmonisches und gleichmäßiges Fahrgefühl entsteht. Während die meisten auf dem Markt erhältlichen Pedelecs den Motor in der Mitte, also an der Kurbel, haben, setzt Klever auf einen Motor im Hinterrad. Den bürstenlosen Gleichstrommotor steckt in einer schwarzen Hülle und hört auf den Namen Biactron. Seine Vorteile: leiser, effizienter und wartungsärmer als ein Mittelmotor soll er sein. Wirklich überprüfen kann ich nur die Geräusche. Der Motor ist im Stadtverkehr nicht zu hören (< 50 dB). Da die Kraft nicht über eine Kette übertragen wird, soll weniger Energie verloren gehen. Der Heckantrieb kann Bewegungsenergie in elektrische Energie umwandeln. Das nennt man Rekuperation. Wenn ich schneller als 35 km/h fahre oder im Leerlauf einen Berg herunter rolle, erzeugt mein Hinterrad wie ein Dynamo Energie.

Rekuperation, wenn´s bergab geht

Die steilste Straße, die ich in Hamburg kenne, führt von der U-Bahn-Station St. Pauli runter zu den Landungsbrücken. Doch als ich den Rekuperationsmodus am Display aktiviere, bleibt das X Raw nach wenigen Metern stehen. Der Widerstand im Motor ist zu hoch, die Steigung zu gering. Das ist also eher eine Funktion für bergige Regionen. Über 35 km/h komme ich in der Stadt auch selten, ich bin eher zwischen 26 und 30 km/h unterwegs. Aber der Heckmotor bietet noch einen Vorteil: Er kann das Hinterrad blockieren. Das nutzt Klever Mobility für die Alarmanlage. Nimmt man das LCD-Display ab, ist der Alarm aktiviert. Versucht jetzt ein Dieb das X Raw weg zu schieben, blockiert das Hinterrad und ein lauter Alarmton ertönt. Während des Tests hatte ich einen Fehlalarm in meinem Hausflur, aber es hat sich niemand dafür interessiert, wer da gerade ein Fahrrad weg trägt …

Klever Mobility XRAW Pedelec mit LCD-Display

Pole Position in der Großstadt

Seinen größten Vorteil entfaltet das Pedelec für mich nicht beim Fahren, schon gar nicht in der Stadt. Es ist die „Anfahrhilfe“, die es zum perfekten Gefährt in der Großstadt macht. Bei den vielen Stopps an Ampeln und anderen Hindernissen, bringt der Motor seinen Fahrer schnell wieder auf Tempo. Man ist flott von der Kreuzung weg und somit kein Hindernis für die (abbiegenden) Autofahrer. Wer in Gegenden mit etlichen Steigungen lebt, wird die Anschubhilfe zu schätzen wissen. Am Display befindet sich eine Turbe-Taste. Ist man nicht im höchsten Unterstützungsmodus unterwegs und fährt noch keine 25 km/h, gibt der Motor bei gedrückter Taste die Maximalleistung dazu. Das ist am Berg, beim Überholen oder Anfahren an der Kreuzung extrem hilfreich. Die Turbo-Taste hilft aber auch beim Schieben. Mit 25 Kilogramm ist das Pedelec kein Leichtgewicht, was ich jeden Tag beim Tragen in und aus meinem Keller feststellen musste. Wenn schon nicht beim Tragen, dann hilft der Motor wenigstens beim Schieben. Die Turbo-Taste beschleunigt das Rad bis auf 4 km/h, so dass man es leicht neben sich herschieben kann.

Wie lange der Akku das Single-Speed-Bike (keine Gangschaltung) noch unterstützt, zeigt das Display an. Die Kilometerzahl variiert mit den drei Unterstützungsstufen. Ein voll geladener Akku (360 kWh) reicht in der höchsten Stufe für rund 40 Kilometer. Der Akku verträgt 700 Ladezyklen und hat laut Hersteller dann noch 60 Prozent seiner ursprünglichen Kapazität. Ein vollständiger Ladezyklus mit dem Netzteil an der heimischen Steckdose dauert vier Stunden. Den 2,7 kh schweren Akku kann man am Rad (in der Garage) an eine Steckdose anschließen oder man nimmt den Energiespeicher mit in die Wohnung oder ins Büro (ist mit einem Schloß gesichert).

Bluetooth-Verbindung zum Smartphone

Auch Kalorien und gefahrene Kilometer zeigt das abnehmbare 2,2 Zoll-Display an. Das Menü im Display ist allerdings gewöhnungsbedürftig. Ich muss sieben Mal eine Taste drücken, bevor ich die gefahrenen Tageskilometer löschen kann. Das Licht sollte ich bei der Fahrt durch den alten Elbtunnel ausschalten, aber in der Hektik und mit einem Tunnelwärter hinter mir, habe ich das nicht geschafft. Dafür gibt es mit Klever Connect eine iPhone-App, die per Bluetooth Verbindung zum Display herstellt. Einzige Funktion: Die Anzeige von eingehenden Anrufen. Die andere Richtung, also dass man auf dem iPhone den Akku-Ladezustand oder die gefahrenen Kilometer sieht, funktioniert (noch) nicht. Perfekt wäre es, Routen am iPhone zu planen und auf dem Display würden die Richtungsangaben für die gewählte Strecke erscheinen.

 

Extrem dankbar bin ich Klever Mobility für die 2,4 Zoll breiten Schwalbe Super Moto-Reifen. In Hamburg gibt es doch mehr Kopfsteinpflasterstraßen als einem Fahrradfahrer lieb sind. Die dicken Dinger federn bei dem zügigen Tempo die Schläge gut ab. Insgesamt ist das Fahrgefühl auf dem Pedelec ab der ersten Minute extrem angenehm. Doch damit kommen wir zum kritischsten Teil, dem Preis. Das X-Raw gibt es ab 3.299 Euro.

Für mich ist das Fahrrad mein Hauptverkehrsmittel. Ich erledige damit meine Fahrten ins Büro, zu Terminen und zu privaten Verabredungen. Dazu nutze ich ein gewöhnliches Trekkingrad (ca. 1.000 Euro). Bin ich nun bereit für etwas Unterstützung beim Fahren (bis 25 km/h) das Dreifache zu bezahlen? Klare Antwort: Nein. So schön es ist, locker an allen anderen Radfahrern vorbei zu ziehen; man mit dem auffälligen Rahmen schon einige Blicke auf sich zieht, was ich auf Rädern bislang nur mit einem Tesla Model S erlebt habe. Doch so begeistert ich vom Fahrerlebnis bin, das ist es mir nicht wert. Zudem: Mein Fahrrad steht die meiste Zeit draußen. Das würde ich mich – trotz Alarmanlage und Schloss – beim X Raw nicht trauen. Man braucht schon eine Garage oder einen abschließbaren Raum.

[crp]
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Dirk Kunde

Elektroautos, Brennstoffzellen, stationäre Speicherbatterien, V2G, Ladeinfrastruktur, autonomes Fahren – die spannendsten Entwicklungen passieren im Bereich Mobilität. Darum geht es in meinen Artikeln und Videos. Als Journalist bin ich stets auf der Suche nach neuen Ideen für Mobilität von Morgen.

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