Autoindustrie & Software: Zu langsam programmiert

Software im VW ID5

Deutsche Autohersteller müssen in Sachen Software aufholen. Doch Zeit und Talente sind die Nadelöhre, so dass inzwischen IT-Zulieferer die Konditionen diktieren. Können sich Hersteller aus dieser Abhängigkeit wieder befreien?

Wie schwer sich die deutsche Autoindustrie mit Software tut, belegt derzeit Volkswagen. Dabei liest sich die Liste der Verbesserungen von Version 3.0 für die ID-Reihe durchaus beeindruckend: höhere Ladeleistung bei einigen Modellen (135 kW), verbesserte Spracherkennung, Spurwechsel-Assistent, automatisiertes Einparken in die heimische Garage sowie die Nutzung von Daten anderer VWs auf der Strecke für assistiertes Fahren. 

Zu Beginn des zweiten Quartals 2022 sollte das Update per Funkverbindung ausgeliefert werden. Doch es gibt zwei Hürden. Etliche ID-Modelle können sogenannte Over-the-Air Updates (OTA) nicht empfangen und die Batterie ist zu schwach. Dabei geht es nicht um die Hochvoltbatterie im Boden der E-Autos, sondern um die kleine 12 Volt-Batterie. Sie versorgt Türverriegelung, Innenbeleuchtung und Instrumententafel, solange die Hochvoltbatterie noch nicht über den Einschalter aktiviert wurde. Bei Software-Installationen ist die Hochvoltbatterie ebenfalls vom Bordnetz getrennt. Die Installation der Version 3.0 erfolgt in zwei Paketen und dauert rund 12 Stunden. Für einen so langen Zeitraum wurde die 12 Volt Batterie nicht ausgelegt. Jetzt müssen rund 200.000 ID3- und ID4-Modelle in die VW-Werkstätten. Dort bekommen sie eine leistungsfähigere 12 Volt-Batterie. Falls noch nicht vorhanden, wird die Software auf Version 2.4 gebracht. Mit dieser Variante kann später ein OTA-Update per Datenfunk auf Version 3.0 erfolgen. Das neueste Modell, der VW ID.5 Coupé wird bereits mit Version 3.1 ausgeliefert. Auf einer ersten Testrunde machen die Software und die dazugehörigen Fahrassistenten einen guten Eindruck.

Software im VW ID5
Volkswagens ID.5 wird mit der Software-Version 3.1 ausgeliefert

Funktionen nachträglich installieren

“Software-Know how gehörte nie zu den Kompetenzen der Autohersteller“, sagt Peter Fuß, Autoexperte bei der Unternehmensberatung Ernst & Young. Viele hätten Komplexität und Tempo bei der Softwareentwicklung unterschätzt. Dabei erwarten Kunden inzwischen im Auto ein umfangreiches Infotainmentsystem samt Onlineverbindung. Der Wechsel zur Elektromobilität bringt ein komplexes Batterie- und Lademanagement mit sich. Fahrassistenten müssen Daten von Kameras, Radar-, Lidar- und Ultraschallsensoren in Echtzeit verarbeiten. Genau wie bei einem Smartphone möchte der Besitzer sein Auto mit Updates auf dem neuesten Stand halten. Das Freischalten weiterer Funktionen ist reizvoll, vor allem für spätere Eigentümer. “In China, dem größten Automarkt der Welt, ist diese Erwartungshaltung bereits deutlich ausgeprägter als in Europa“, sagt Fuß. 

Globaler Wettbewerb um Software-Talente

Die Notwendigkeit für den Aufbau eigener IT-Kompetenzen ist in den Führungsetagen deutscher Autohersteller längst angekommen. Doch die Umsetzung braucht viel Zeit. Volkswagen hat seine Aktivitäten in Cariad gebündelt. Das Akronym steht für “Car, I Am Digital”. Zum Start vor einem Jahr arbeiteten bereits 4.000 Entwickler für das Unternehmen. Innerhalb eines Jahres kamen gerade mal  1.000 Mitarbeiterinnen hinzu. In nur zwei Jahren will man den Sprung auf 10.000 schaffen. Aber die Zahl der Entwickler ist keine Lösung an sich. Cariad stößt auch auf interne Widerstände und Probleme innerhalb des Konzerns, was wiederum wertvolle Zeit kostet.

Stellantis-CEO Carlos Tavares hat den Aufbau einer IT-Abteilung mit 4.500 Entwicklerinnen angekündigt. Der Dachkonzern vereint 14 Automarken von Alfa Romeo über Opel bis Chrysler. Mercedes-Benz eröffnete im April in Sindelfingen sein Electric Software Hub. Auf 70.000 Quadratmetern entstanden Labore, Testwerkstätten, 250 Ladepunkte sowie 1.100 Arbeitsplätze für Entwicklerinnen. Weitere 2.000 IT-Stellen sind im globalen Verbund des Stuttgarter Autoherstellers vorgesehen. Das sind nur drei Beispiele, doch alle Autohersteller rund um den Globus buhlen mit Apple, Google und Facebook um die besten Software-Talente.

Oligopole Strukturen bei den Zulieferern

Um verlorene Zeit aufzuholen, kooperieren Autohersteller eng mit IT-Zulieferern. Bei Fahrassistenzsystemen sind das beispielsweise Qualcomm, Intels Mobileye sowie Nvidia. Letztere besitzt nicht mal eine eigene Fertigung. Das kalifornische Unternehmen ist mit Grafikchips für PC groß geworden. Inzwischen verarbeitet die Nvidia Drive-Plattform Sensordaten für assistiertes und autonomes Fahren. Auf der Kundenliste stehen unter anderem Volvo, Jaguar Land Rover, Hyundai, Nio sowie Mercedes-Benz. Laut Medienberichten verhandelte Nvidia mit Mercedes einen Deal, bei dem der Zulieferer zwei Mal kassiert. Einmal verkaufen sie ihre Chips. Schaltet ein Kunde kostenpflichtige Assistenzfunktionen frei, ist Nvidia noch mal mit 40 Prozent am Umsatz beteiligt. Es ist normal, dass Zulieferer neue Funktionen im Auto entwickeln, dass sie jedoch am Umsatz beteiligt werden, ist ein Novum. “Aktuell haben wir oligopole Strukturen. Die IT-Zulieferer können Preise diktieren, aber das wird sich mittelfristig wieder legen“, sagt Stefan Reindl, Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft in Geislingen. 

Über die Rückkehr zur alten Balance sind die befragten Experten unterschiedlicher Meinung. “Die Einkommensströme im Auto verändern sich. Die heutigen Nutzer zahlen eher für digitale Funktionen als für ein paar mehr PS,” sagt Berater Fuß. Das autonom fahrende Auto wird zum dritten Lebensraum neben Büro und Wohnzimmer. “Wer den Passagieren die Zeit während dieser Fahrt organisiert, dem geben sie ihr Geld“, ist Fuß überzeugt. Somit sind Google und Apple in einer hervorragenden Position. Immer wieder kommen Gerüchte auf, Apple arbeite an einem eigenen Auto. Inzwischen wurden die Kalifornier von einem Entertainment-Experten überholt. Sony präsentierte zu Jahresbeginn bereits sein zweites E-Auto. Viele Marktbeobachter bezweifelten die Ernsthaftigkeit der Japaner. Doch inzwischen ist klar: Sony baut zusammen mit Honda das Elektroauto. Es soll 2025 auf den Markt kommen.

Software lebt von Skaleneffekten

Alphabet, Googles Mutterkonzern, entwickelt die Technologie für autonomes Fahren unter der Marke Waymo. Mit Android-Automotive hat der Konzern eine gute Position im globalen Automarkt. Volvo, General Motors, Ford, Nissan, Mitsubishi, Renault und Polestar nutzen das Betriebssystem für ihre Infotainmentsysteme. Man kann es über Apps erweitern als auch aktualisieren. Dank Google Maps kennt das Auto-Navi jeden Frisör und jedes Restaurant samt Öffnungszeiten sowie alle jemals auf dem Smartphone gespeicherten Orte. Auch die Routenführung zur Ladesäule sowie die Berechnung der Ladezeit funktioniert. Die Sprachsteuerung erkennt Wünsche der Nutzerinnen auf Anhieb. Das liegt an der großen Trainingsbasis des Google-Assistenten auf Android-Smartphones. “Software lebt von Skaleneffekten und das nicht nur bei Funktionen“, sagt Jonas Seyfferth, Direktor des Digital Automotive & Mobility Teams bei PwC Strategy&. Es rechnet sich eher, ein Betriebssystem für 20 Millionen, statt für zwei Millionen Autos zu entwickeln. Nur um eine Größenordnung zu geben: Die BMW Group verkaufte im vergangenen Jahr rund 2,5 Millionen und Mercedes-Benz 1,94 Millionen Pkw. 

Zulieferer sind größer als Auftraggeber

Ein Markenkonglomerat wie Stellantis ist mit 6,14 Millionen Fahrzeugen besser aufgestellt. Doch auch sie arbeiten bei der Digitalisierung mit Partnern wie Amazon und Foxconn. Mitte April wurde eine Kooperation mit Qualcomm verkündet. Das US-Unternehmen liefert seinen Snapdragon-Chip als auch 5G-Konnektivität für Maserati, später auch für andere Automarken. Die Frage nach einer Umsatzbeteiligung Qualcomms bei digitalen Funktionen mag Stellantis Software-Chef Yves Bonnefont bei der Präsentation nicht beantworten. 

Doch auch diese Kooperation zeigt, IT-Zulieferer sind integraler Bestandteil der Fahrzeuge. Es fällt schwer zu glauben, Automanager könnten sich in naher Zukunft aus dieser Umarmung lösen. “Hinzu kommt, dass einige der Zulieferer größer sind als ihre Auftraggeber“, sagt Seyfferth. Stellantis ist an der Börse aktuell 43 Milliarden Euro wert. BMW liegt bei 50,6 Mrd. Euro, Mercedes-Benz bei 68,2 Mrd. Euro und Volkswagen wird mit 98,1 Mrd. Euro bewertet. Doch sind Qualcomm mit 143,9 Mrd. Euro und Nvidia mit 466,8 Mrd. Euro deutlich wertvoller. Die Marktkapitalisierung von Alphabet (1.452 Mrd. Euro) und Apple (2.264 Mrd. Euro) spielen in einer ganz anderen Liga. Hier steht deutlich mehr Geld für Forschung und Entwicklung als auch Übernahmen zur Verfügung. 

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Volkswagen fährt nicht allein

Auch wenn Volkswagen mithilfe von Cariad seinen eigenen Softwareanteil von heute 15 auf 60 Prozent in zwei Jahren steigern will, gehen sie den Weg nicht allein. Die Weiterentwicklung zum autonom fahrenden Auto bestreiten mit Partnern. Beim Projekt Trinity und der Level 4 Autonomie sind es die Chips von Qualcomm. Bei der weiteren Entwicklung bis zum Level 5 hilft Bosch mit seinem IT-Know how. Wann voll autonomes Fahren Realität wird, darüber herrscht Ungewissheit. Doch Berater Fuß sieht hier einen Ketchupflaschen-Effekt: “Noch kommt es nur tröpfchenweise. Doch irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem ganz viel aus der Flasche fließt. Dann kann man es nicht mehr stoppen.” Autohersteller, die bis dahin die Software-Anforderungen nicht beherrschen, werden aus seiner Sicht vom Markt verschwinden.

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Dirk Kunde

Elektroautos, Brennstoffzellen, stationäre Speicherbatterien, V2G, Ladeinfrastruktur, autonomes Fahren – die spannendsten Entwicklungen passieren im Bereich Mobilität. Darum geht es in meinen Artikeln und Videos. Als Journalist bin ich stets auf der Suche nach neuen Ideen für Mobilität von Morgen.

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