Bereits seit den frühen Vormittagsstunden stehen die Ed Sheeran-Fans an den Eingängen der Johann Cruijff-Arena in Amsterdam. Es ist Ende Juni und die Sonne brennt gnadenlos. Die benachbarten Geschäfte und Bürohäuser liefern keinen Schatten. Doof für die Fans, gut für die Solaranlage auf dem Dach des größten Stadions der Niederlande. Die 4.200 Photovoltaik-Modale mit 1,1 MWp liefern reichlich Energie. Doch der Strom wird in der Arena nicht gebracht. Ed Sheeran betritt erst kurz vor Sonnenuntergang die Bühne. Bislang wird der Sonnenstrom an das Stromnetz abgegeben.
Drei Megawatt Speicher – aus E-Auto-Batterien
Doch heute weiht Udo Kock, Amsterdams zweiter Bürgermeister, Europas größten Energiespeicher in der Cruijff-Arena ein. Die PV-Module auf dem aufklappbaren Stadiondach gibt es zwar schon seit vier Jahren, doch die Speicherbatterien, die Spannungswandler und die komplexe Steuerungssoftware kommen erst heute dazu. In einem geschützten Raum auf einer der Tiefgaragenebenen stehen 61 Racks mit insgesamt 590 Batterie-Einheiten. 250 davon waren zuvor in Nissan Leafs aktiv und beginnen hier ihr zweites Leben. 340 E-Auto-Batterien sind fabrikneu. Der gesamte Speicher entspricht umgerechnet 148 Nissan Leafs und hat eine Kapazität von drei Megawatt. Im Raum nebenan stehen vier bidirektionale Wechselrichter von Eaton. Außerdem enthält ein Schrank Server und Software von The Mobility House. Das Münchner Unternehmen liefert die Steuerung zwischen Solarzellen, Invertern, Batterien, Elektroautos und Stromnetz.
“Euros aus Megawatt”
„Wir sind hier als Vermarkter tätig, machen Euros aus Megawatt“, sagt Thomas Raffeiner, CEO und Gründer von The Mobility House (TMH) über die Rolle seines Unternehmens in Europas größtem Energiespeicher in einer Gewerbeimmobilie. Mit dem System wurde die Arena im niederländischen Primärregelmarkt aktiv. Netzbetreiber TenneT nutzt die Batterien zur Stabilisierung des Stromnetzes. Außerdem hilft TMH der Arena bei der Vermeidung teurer Lastspitzen.
Sonnenstrom für Ed Sheeran
„Die Netzbetreiber mögen keine Spitzen, aber wir lieben sie. Die Volatilität ist eine Chance zum Geldverdienen“, sagt Raffeiner. Das Stadion hat einen ungleichmäßigen Stromverbrauch. Tagsüber gibt es nur wenige Veranstaltungen, doch dann erzeugen die Solarzellen am meisten Energie. Ein Spiel der Heimmannschaft Ajax lässt den Stromverbrauch sprunghaft ansteigen. Doch die Licht- und Soundanlage eines Megastars wie Ed Sheeran sorgt für kurzzeitige Spitzenlasten. Der britische Songwriter gibt am Abend der Speichereinweihung sein zweites Konzert vor ausverkauftem Haus. Die Batterien könnten für eine Stunde das Konzert mit Strom versorgen. Doch sie decken vor allem Spitzen ab und fungieren als Backup-System. Für die beiden Dieselgeneratoren im Raum neben den Wechselrichtern dürfte der Ruhestand nah sein.
E-Autos versorgen das Stadion
Gemeinsam mit Nissan schlägt TMH in Amsterdam die Brücke zur Sektorenkopplung. Elektroautos sind Teil der Speicherlösung in der Cruijff-Arena. Derzeit sind 18 uni- und bidirektionale Ladesäulen in der Tiefgarage installiert. Mittelfristig sollen es 200 Ladeanschlüsse werden. Die bidirektionalen Säulen mit CHAdeMo-Stecker können auch Energie aus der Fahrzeugbatterie entnehmen. Geparkte Elektroautos erweitern die Speicherkapazität des Stadions. Bei Spielen oder Konzerten am Abend wird der Strom aus dem Energiespeicher in der Arena genutzt. Rechtzeitig vor Veranstaltungsende leitet das System ausreichend Energie aus den stationären Batterien zurück in die Elektroautos. Die Fahrer kommen also auf jeden Fall mit ihrem E-Auto nach Hause. Die stationären-Batterien werden jeden Abend zu 50 Prozent entladen, so dass sie bei Sonnenaufgang Energie aus den Solarzellen aufnehmen können.
Energiespeicher statt Kohlekraftwerk
„Langfristig sehen wir jedes Elektroauto als Teil einer Speicherlösung“, sagt Raffeiner. Wie Automobilhersteller schon jetzt von der Energiewende profitieren, zeigt das Projekt im südwestfälischen Elverlingsen. Auf dem Gelände des ehemaligen Kohlekraftwerks der Energie AG entstand ein 9,8 MWh großer Speicher in Zusammenarbeit mit Daimler. Das Besondere: Die 1.920 Batteriemodule für die dritte Elektro-Smart Generation beginnen hier ihr erstes Leben. Es ist ein „lebendes Ersatzteillager“. „Ersatzbatterien kann man nicht ungenutzt im Regal liegen lassen. Eine Tiefenentladung würde sie unbrauchbar machen“, erläutert Raffeiner. Die schonenden Be- und Entladungszyklen bereiten die Module auf ihren Einsatz in einem Smart vor. Der Betreiber erzielt mit der Erbringung von Primärregelleistung zusätzliche Einnahmen anstatt nur Lagerkosten zu verursachen. Es ist bereits der dritte Großspeicher mit Elektroautobatterien, den TMH gemeinsam mit GETEC Energie für den Autohersteller realisiert. Schon seit 2017 sind am Standort Lünen 13 MWh Kapazität vorhanden. Der Energiespeicher reagiert sekundenschnell auf Schwankungen im Stromnetz.
Insellösung im Atlantik
Wie gut sich Elektroautos und deren Batterien in den Energiekreislauf einbinden lassen, zeigt – im wahrsten Sinne des Wortes – die Insellösung Porto Santo. Die portugiesische Atlantikinsel erzeugt Strom mithilfe von Diesel-Generatoren, Windparks und Solarzellen. Seit Jahresbeginn können 20 Testfahrer ihre elektrischen Renault Zoes und Kangoos an Ladestationen aufladen. Im zweiten Schritt werden die Ladesäulen bidirektional ertüchtigt, so dass eine Vehicle to Grid-Anbindung (V2G) realisiert wird. In der dritten Stufe installiert Renault auf der Insel Second Life Batterien aus seinen Fahrzeugen in zwei stationären Speichern. Sie puffern gemeinsam mit den Elektrofahrzeugen die Wind- und Sonnenenergie. Nach Sonnenuntergang geben die Energiespeicher den Strom ans Inselnetz ab. Das Lademanagement von The Mobility House steuert das Laden und Entladen der Fahrzeuge und Speicher so, dass der Energieversorger Empresa de Electricidade de Madeira bei der Integration erneuerbarer Energien in das Stromnetz der Insel unterstützt wird. „Das Elektroauto ist nicht Teil des Problems, sondern der Lösung. Das begreifen auch immer mehr Netzbetreiber“, sagt Raffeiner.
Pilotprojekt mit Telnet und Nissan
Auch in Deutschland helfen Elektroautos und V2G-Technik bei der Energiewende. Aufgrund von Netzengpässen kann Windenergie häufig nicht aus dem Norden in den Süden zu Abnehmern gelangen. Es müssen Kohlekraftwerke hochgefahren werden. In einem Pilotprojekt mit Tennet und Nissan zeigt TMH wie Elektroautobatterien als Puffer fungieren. Im Norden nehmen die Fahrzeuge den Überschuss auf und nutzen ihn für Fahrten. Im Süden geben Nissan Leafs gespeicherte Energie ans Netz ab.