M-Byte. Das hört sich an wie Speichervolumen – MB halt. Kennt man von früher, von Disketten. Heute wären es eher GB oder TB. Aber Byton hat sich nun mal für M-Byte bei seinem ersten Elektroauto entschieden. Der Markenname leitet sich aus „Bytes on Wheels“ ab – rollende Daten. Der M-Byte ist ein rollender Computer, ein iPhone auf Rädern. Oder aber ein zweites Wohn- bzw. Arbeitszimmer.
Bislang wollte man mit einem Auto möglichst schnell von A nach B kommen. Fahrzeit ist verlorene Zeit. Leider verlängern zähfließender Verkehr und Stau immer mehr Fahrten. Wenn man Zeit im Auto sinnvoll nutzen könnte, wäre Fahrzeit keine verlorene Zeit mehr. So läßt sich der Grundgedanke der Initiatoren zusammenfassen. Auf jedem Platz im SUV hat man Zugriff auf digitale Inhalte. Natürlich nutzt der Wagen 5G-Datenverbindungen.
Zentrales Element ist der 48 Zoll Bildschirm (126 x 25 cm), der die gesamte Breite des Armaturenbretts einnimmt. So etwas hat noch niemand in einem Auto untergebracht. Dabei ist es nur die logische Fortsetzung von dem, womit Tesla uns im Model S begeisterte, als wir es das erste mal sahen.
Android und QNX in einem Bildschirm
Technisch ist der Bildschirm, der nicht auf Berührung reagiert, dazu sitzt man zu weit entfernt, ein großes Meisterwerk. Gesteuert wird er über ein Tablet im Lenkrad oder ein Tablett in der Mittelkonsole. Beide funktionieren mit Android. Doch Googles-Betriebssystem erfüllt nicht die Anforderungen an Ausfallsicherheit, die sich ein Autoingenieur wünscht. Also läuft das linke Drittel des Bildschirms mit den Fahrdaten auf Basis von QNX. Man sieht aber keinen Übergang oder Rahmen. Für die Nutzer ist es ein durchgehender Bildschirm.
Neben den beiden Tablets kann man Inhalte auch per Sprache (Alexa in Europa) und Gesten steuern. Eine Kamera im Dach erkennt Handbewegungen wie lauter, leiser, nächster Titel oder Anruf annehmen. Die technischen Fahrzeugdaten stehen bereits fest (Siehe Tabelle am Ende des Textes). Ich möchte auf die Anfänge von Byton blicken. Schließlich erlebt man die Gründung einer Automarke und die Entstehung eines neuen Fahrzeugs, in das man sich bereits setzen kann, nicht alle Tage.
Chinesisches Unternehmen mit deutschen Genen
Byton ist ein chinesisches Unternehmen. Doch der Anspruch lautet, ein modernes Elektroauto für die Welt zu entwickeln. Außerdem hat Byton “deutsche DNA in seinen Genen”, wie es CEO Dr. Daniel Kirchert beim Gespräch auf dem IAA-Messestand im Herbst 2019 ausdrückt.
Die Idee zu Byton hatte Jack Feng. Der chinesische Jurist ist Direktor und Aufsichtsrat der China Harmony New Energy Automobile Holdings. Das Unternehmen ist in Hongkong an der Börse notiert (3836.HK). Das Hauptgeschäft ist der Verkauf von Oberklasse-Autos. Harmony verkauft für Audi, Bentley, BMW, Jaguar, Lexus und weitere Marken Pkw in China. Feng ist überzeugt, es ist Zeit für eine chinesische Oberklasse-Marke mit elektrischem Antrieb. Zusammen mit weiteren Unternehmern entwickelt er 2016 die Idee für die Future Mobility Corporation (FMC). Daraus wird später Byton. Zu den ersten Investoren zählen Tencent und Foxconn.
Das Beste aus den (Auto-)Welten
Die Initiatoren wollen das Beste aus unterschiedlichen (Auto-)Welten zusammenbringen: Software aus dem Silicon Valley, moderne Fertigungsmethoden in China und gutes, altes Fahrzeug-Ingenieurs-Know-how aus Deutschland. Mit Dr. Daniel Kirchert hat man schnell den geeigneten Kandidaten gefunden. Der 45-jährige hat seine Karriere bei BMW in München begonnen. Bereits während des Studiums der Sinologie hat er China bereist und Mandarin gelernt. Er arbeitet später bei BMW Brilliance und Infiniti in China. Kirchert ist mit einer Chinesin verheiratet, kennt also Land, Leute und Sprache. Auf seiner neuen Visitenkarte steht President & Founder.
Überzeugungsarbeit am Gardasee
Der zweite Kandidat ziert sich ein wenig. Carsten Breitfeld arbeitet bei BMW in München. Er ist Projektleiter für den Hybriden i8. Auf so einer Position kann man alt werden. Ansehen und Geld gibt es reichlich, nur geht es mit der Elektrifizierung der Autos bei BMW nach i3 und i8 nicht weiter. Das Team zerbröselt. Immer mehr Leistungsträger aus der Abteilung verlassen den Münchner Autobauer. Erst reagiert Breitfeld auf die Mails von Jack Feng halbherzig. Also reist der Chinese nach Italien. Breitfeld hat ihm verraten, dass er Ferien auf seinem Boot am Gardasee macht. Fast überfallartig zwingt Feng den Automanager zu einem Treffen – wenigstens auf einen Kaffee (im Video bei 10:10 Min). Daraus wird ein längeres Gespräch, das in einen Anstellungsvertrag mündet. Breitfeld gibt seine sichere Karriere bei BMW auf und beginnt als CEO & Founder.
Schon auf der CES in Las Vegas zum Jahresbeginn 2018 zeigen Breitfeld und Kirchert auf der Bühne das Konzept-Fahrzeug, welches viel Aufmerksamkeit bekommt. So ein Auto mit so einem Bedienkonzept hatte man noch nicht gesehen. Entsprechend viel Aufmerksamkeit bekommt das junge Unternehmen. In den ersten beiden Finanzierungsrunden kommen 800 Millionen Dollar von Firmen wie der Harmony Auto Group, Tencent, Foxconn, Auto Investments, League Automotive Technologies, Legend Capital, dem Batteriehersteller CATL sowie dem staatlichen Autobauer First Automotive Works (FAW) zusammen.
Fabrikbau in Nanjing
In einem Gewerbegebiet außerhalb Nanjings unweit des Jangste-Fluß entsteht die Fabrik. Hier sollen im Endausbau 300.000 Autos pro Jahr vom Band rollen. Das Verwaltungsgebäude wird von oben wie das Byton-B aussehen. Bei meinem Besuch im Juni 2018 läuft bereits die Prototypen-Fertigung. Auf der CES Asia in Shanghai enthüllt das Unternehmen sein zweites Fahrzeug. Eine Limousine mit dem Namen K-Byte. Sie setzt auf der Plattform vom M-Byte auf. Man hört auch bereits von Plänen für einen siebensitzigen Van.
Byton fährt ein irres Tempo. Aber man hat nicht die Hybris alles selbst entwickeln zu müsse: Der Antriebsstrang kommt von Bosch, die Batterie von CATL, der Bildschirm von BOE Technology, die Sprachsteuerung von Baidu bzw. Amazon und die Fähigkeit autonom zu fahren liefert Aurora (M-Byte erreicht Level 3). Das Team wächst schnell auf einige hundert Mitarbeiter. Man eröffnet ein Investor-Relations-Büro in Hongkong, Marketing und Sales arbeiten von Shanghai aus und es gibt ein politisches Lobby-Büro in Peking. Das Design wird unter Leitung von Benoit Jacob in München entwickelt und die Software in Santa Clara in Kalifornien. Hier lebt nun auch Carsten Breitfeld mit Familie. Während des Edel-Oldtimer-Treffens in Pebble Beach im Herbst 2018 zeigt man den Superreichen den elektrischen M-Byte. Journalisten dürfen in Prototypen erste Runden über das abgesperrte Golfplatzgelände mitfahren.
Carsharing geplant
Alles läuft bestens. Ende 2019 sollen die ersten M-Bytes an Kunden in China ausgeliefert werden. Die Preise starten bei 45.000 Dollar. Oberklasse zum Mittelklasse-Preis. Danach sollen Nordamerika und dann Europa folgen. Breitfeld will nicht nur durch Verkauf und Leasing Geld verdienen. Digitale Zusatzdienste auf dem Display, aber vor allem der Betrieb einer Sharing- oder Fahrdienst-Flotte soll Umsatz bringen. Sitzposition, Kontakte, Filme, Musik und Vitaldaten (Herzfrequenz) werden über die Byton-Cloud in einem Fahrerprofil gespeichert. „Wer einen Byton in San Francisco mietet und sich am nächsten Tag in Peking in eines unserer Autos setzt, soll ein identisches Fahrerlebnis haben“, erzählt Breitfeld mir beim Besuch der Zentrale in Nanjing.
Es ziehen dunkle Wolken auf – Breitfeld geht
Anfang 2019 ist die Welt noch in Ordnung. Man zeigt im Januar auf der CES das fertige Interieur vom M-Byte. Die erste Schockwelle wird im April 2019 zur Messe Auto Shanghai bekannt. CEO Carsten Breitfeld verlässt das Unternehmen und wechselt zu Iconiq Motors. Inzwischen ist der Deutsche bereits weiter gezogen. Wieder in der Rolle des CEOs bemüht er sich darum, dass die Neugründung Faraday Future auch tatsächlich eine Zukunft hat.
Der Abgang machte einen furchtbar schlechten Eindruck. Warum geht ein CEO, bevor das erste Produkt auf dem Markt ist? Offiziell sagt Byton nichts zu den Gründen. The Verge zitiert Breitfeld, ihm sei die staatliche Einflussnahme durch FAW zu groß geworden. Da mag etwas dran sein, doch verlässt man keinen chinesischen Autohersteller aus dem Grund, um dann direkt zum nächsten chinesischen Auto-Start-up zu wechseln. Breitfeld fühlt sich in dem Bericht allerdings falsch wiedergegeben. Kurz nach Erscheinen entschuldigt er sich auf Weibo förmlich bei China und lobt das Unternehmertum im Land.
Breitfeld lebt mit seiner Familie in Kalifornien. Er fühlt sich wohl dort. Vermutlich sah er seine berufliche und private Zukunft eher in Nordamerika. Das hat er jetzt mit dem Job bei Faraday Future auch hinbekommen. Die Doppelspitze mit zwei Deutschen in einem chinesischen Unternehmen war von Anfang an eine merkwürdige Konstruktion. Breitfeld ist ein “Hoppla, hier komme ich!”-Typ wie man ihn in der Autoindustrie öfter antrifft. Voller Selbstbewusstsein, das er auch nach Außen kehrt. Daniel Kirchert dagegen wirkt eher introvertiert, fast schüchtern. Er lebt im Land, spricht die Sprache und seine ruhige Art kommt bei den Entscheidern gut an. Er wird der neue CEO.
Stühlerücken auf drei Kontinenten
Mit Breitfeld verlassen noch weitere Leute das Unternehmen. Es gibt personelle Veränderungen im Marketing und Abe Chen, der Vice President of Digital Technology verlässt Byton. Auf den Sicherheitsexperten war man im Unternehmen besonders stolz. Er hält Vorlesungen an der Universität of California zum Thema, gewann mehrfach einen renommierten Hacker-Wettbewerb. In seinem Lebenslauf stehen Stationen bei Nio, Tesla und Apple. Doch Kirchert weint niemandem nach. Er verteilt Aufgaben anders, holt neue Leute und befördert Leistungsträger. Mit Andreas Schaaf installierte er einen obersten Kundenbetreuer. Seine Erfahrung bei Cadillac in China sowie der BMW Group in Asien, Afrika und Osteuropa qualifizieren ihn als Chief Customer Officer. Chefingenieur David Twohig beförderte Kirchert zum Technikvorstand. Der gebürtige Ire entwickelte zuvor den Sportwagen Alpine A110 und gilt als geistiger Vater des Renault Zoe. Das Stühlerücken tut Kirchert als typische Wachstumsschmerzen ab. Das sei nun mal so, wenn ein Start-up von 50 auf 1.800 Mitarbeiter an Standorten auf drei Kontinenten wachse.
Staatliche Förderung in China
Nun wird es auch beim Thema Geld schwierig. Die Euphorie in Sachen Elektromobilität ist in China einer realistischeren Einschätzung gewichen. Jedem ist klar, dass von den 250 (die Zahlen schwanken) Neugründungen in diesem Bereich nur eine Hand voll Unternehmen überleben wird. Der Handelsstreit mit den USA belastet die Wirtschaft und es laufen Subventionsprogramme für E-Autos aus. Rückrufe und Qualitäts-Probleme bei Wettbewerbern verschärfen den Gesamteindruck.
Die Investoren werden nervös. Und so dauert der Abschluss der dritten Finanzierungsrunde länger als geplant. Die benötigten 500 Millionen Dollar kommen vom staatlichen chinesischen Autobauer FAW, einem Fonds der Provinz Jiangsu sowie der Stadt Nanjing. Es ist quasi staatliche Wirtschaftsförderung. Die Provinz hat rund 80 Millionen Einwohner. Knapp sechs Millionen davon leben in der Hauptstadt Nanjing. Die Stadtverwaltung ebnete den Weg für den Fabrikneubau. Eines Tages sollen ein paar Tausend Menschen arbeiten. Die Lokalpolitiker fürchten nichts mehr als eine Bauruine. Darum investierten sie in Byton und bewilligten zudem Kredite.
Die Namen aus den ersten beiden Finanzierungsrunden wie beispielsweise Tencent, Foxconn und China Harmony Auto fehlen diesmal. “Die Erstinvestoren glauben an unsere Idee und unser Konzept. Doch sie nehmen eine abwartende Haltung ein“, sagt Kirchert. Eigentlich wollte Byton bereits Ende 2019 erste M-Bytes an Kunden ausliefern. “Mit Blick auf die Probleme der Wettbewerber haben wir lieber noch einige Monate ins Hochfahren der Produktion investiert”, begründet Kirchert die Verschiebung auf Mitte 2020.
In seiner noch jungen Geschichte stand Byton mehrfach auf der Kippe. Es hätte alles schief gehen können. Doch im Herbst 2019 wird Kirchert in Frankfurt auf der IAA von vielen Leuten umringt. Im Viertelstundentakt spricht er mit potentiellen Investoren, Partnern, Interessenten und Kollegen aus der Branche. Belächelt wird das Unternehmen längst nicht mehr. “Wir wollen kein Auto für China machen, sondern für die Welt“, sagt Kirchert.
Leichte Verzögerungen beim M-Byte
Um das zu realisieren, ist noch eine vierte Finanzierungsrunde notwendig. Auch einen Börsengang schließt Kirchert nichts aus. “Jetzt sind wir aber für das Hochfahren der Produktion gut ausgestattet“, sagt er. Allerdings gibt es leichte Verzögerungen. Die ersten Autos werden erst Mitte 2020 in China ausgeliefert. Rund 20.000 der 50.000 Vorbestellungen stammen aus Europa. Doch die Interessenten müssen sich bis 2021 gedulden. Die Preise für den M-Byte starten bei 54.000 Euro (brutto).
Was noch aussteht, ist der Aufbau eines Vertriebs- und Servicenetzes in Europa. In Shanghai gibt es bereits einen so genannten Byton-Place. Es ist ein Boutique-artiger Showroom. Solche Ladenlokale in besten Lagen soll es auch hierzulande geben. Doch sollen Partner sie betreiben. Bestellt wird direkt bei Byton über das Internet. In jeder Stadt mit Byton-Showroom soll es auch eine Service-Niederlassung geben. Ein mobiler Werkstatt-Service sei denkbar, so Kirchert. Mit wem Byton bei all dem kooperiert, mag er noch nicht verraten. “Doch das Serviceerlebnis ist uns super wichtig“, schiebt er nach. Die Erfahrung seiner chinesischen und amerikanischen Wettbewerber unter dem Stichwort “Servicehölle” sind ihm eine Warnung.
Technische Daten: Byton M-Byte
Modellname | M-Byte |
Art | Fünfsitzer SUV mit Stahl-Aluminium-Konstruktion |
elektrischer Antrieb | RWD / AWD |
Motorleistung | 200 / 300 kW |
Batteriegrößen (netto) | 72 / 95 kWh |
Reichweiten | 360 / 460 km bei RWD 72 / 95 kWh Batterie, 435 km bei AWD 95 kWh Batterie) |
Verbrauch (rechnerisch) | 20 / 20,7; 21,8 kWh pro 100 km |
Ladeleistung | DC: 120 / 150 kW; AC: 11 /22 kW |
Top-Speed | 190 km/h |
Beschleunigung (0-100 kmh) | 5,5 / 7,5 Sek. (AWD / RWD) |
Maße / Radstand | 4.875 / 2.195 / 1.665 mm; 2.950 mm |
Gewicht | 2.315 / 2.600 kg |
Kofferraum | 550 / 1.450 Liter |
Preis | ab 54.000 € (ab 2021 in Europa) |