Paukenschlag in Wolfsburg. Der Aufsichtsrat der Volkswagen AG hat heute beschlossen, dass Porsche-Chef Oliver Blume ab dem 1. September 2022 das Amt des Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG übernimmt. Herbert Diess verlässt den Vorstand und den Konzern, im gegenseitigen Einvernehmen, wie es in der Pressemitteilung heißt.
Der Wechsel wird mit einer Verjüngung des Vorstands begründet. Das ist schwer nachzuvollziehen, da der 63-jährige den “Tanker” Volkswagen in den vergangenen Jahren konsequent auf die Zukunftstechnologie Elektromobilität ausgerichtet hat. „Herbert Diess hat sowohl in seiner Zeit als Vorstandsvorsitzender der Marke Volkswagen als auch des Konzerns die Transformation des Unternehmens maßgeblich vorangetrieben. Herr Diess hat eindrucksvoll bewiesen, mit welchem Tempo und mit welcher Konsequenz er tiefgreifende Transformationsprozesse umsetzen kann. Dabei hat er das Unternehmen nicht nur durch extrem schwieriges Fahrwasser gesteuert, sondern auch strategisch grundlegend neu ausgerichtet“, sagt Aufsichtsratsvorsitzende Hans Dieter Pötsch und dankte Herbert Diess im Namen des Gremiums.
Bereits von der Kernmarke entbunden
Herbert Diess hatte bereits mehrfach die Machtfrage gestellt und stand für den Aufsichtsrat wiederholt auf der “Kippe”. Im Juni 2020 wurde ihm die Verantwortung für die Kernmarke VW genommen und an Ralf Brandstätter übergeben, der inzwischen für den Konzern nach China gezogen ist. Aktuell war in Wolfsburg etwas Ruhe eingekehrt. Herbert Diess hatte einen Vertrag bis 2025. Es sah ganz so aus, als ob er seine Strategie zum Umbau von Deutschlands größtem Autohersteller ungestört hätte fortführen können.
Verabschiedung in die VW-Werksferien auf LinkedIn
Die Personalie kommt zu einem überraschenden Zeitpunkt. Herbert Diess ist in dieser Woche mit Vorstandskollegen in den USA unterwegs. Auf LinkedIn verabschiedet er sich um 17 Uhr deutscher Zeit mit einem langen Brief in die Werksferien. Er beschreibt, wie schwierig die erste Jahreshälfte für den Konzern war und wie sehr er sich auf die zweite Hälfte freut. Um 18:19 Uhr liegt die Porsche-Pressemitteilung über den Vorstandswechsel in meiner Inbox. Vermutlich hat Diess die Aufsichtsratsentscheidung eiskalt erwischt.
Erst kürzlich legte er im Beisein von Bundeskanzler Olaf Scholz den Grundstein für die erste von sechs Gigafactorys. In Salzgitter werden demnächst Batterien gefertigt als auch recycelt. Im Juni startete er im Beisein von Griechenlands Premierminister Kyriakos Mitsotakis einen elektrischen Ridesharing-Dienst auf der Insel Astypalea. Es ist ein erster Schritt, die Insel bis 2026 auf Elektromobilität umzustellen und das Energiesystem vollständig zu erneuern. Diess kam 2015 zu Volkswagen. Zuvor war er Entwicklungsvorstand bei BMW in München.
Wen hat Diess verärgert?
Der Volkswagen-Aufsichtsrat ist mit Mitgliedern der Familien Porsche und Piëch besetzt. Großes Gewicht haben die IG Metall sowie die Mitarbeitervertretung als auch das Land Niedersachsen als Anteilseigner. Wen dieser Parteien Diess verärgert hat, bleibt unklar. Haben eventuell die Probleme bei Cariad, der IT-Tocher (€) damit zu tun? Das Unternehmen hat große Schwierigkeiten, ein einheitliches Betriebssystem für die Konzern-Modelle zu programmieren. Die Einführung neuer Fahrzeuge bei Audi und Bentley soll deswegen bereits verschoben worden sein.
Blume führt Porsche und den VW-Konzern
Blume hat damit ab Herbst zwei Jobs: CEO von Volkswagen und Porsche. In Wolfsburg wird er im Tagesgeschäft von Finanzvorstand Arno Antlitz unterstützt, denn Blume bleibt Vorstandsvorsitzender der Porsche AG. In der Pressemitteilung wird explizit erwähnt, dass der 54-jährige diesen Posten auch nach dem geplanten Börsengang der Porsche AG ausüben soll.
Oliver Blume: Ein Volkswagen-Gewächs
Der gebürtige Braunschweiger Blume begann 1994 im Volkswagen Konzern. Seitdem war er für Audi, Seat, VW und Porsche tätig. Seit 2015 ist er Vorstandsvorsitzender bei Porsche und seit 2018 Mitglied des Konzernvorstands. „Oliver Blume hat in verschiedenen Funktionen im Konzern und mehreren Marken seine operativen und strategischen Fähigkeiten unter Beweis gestellt und führt die Porsche AG seit sieben Jahren wirtschaftlich, technologisch und kulturell mit großem Erfolg. Er ist aus Sicht des gesamten Aufsichtsrates jetzt die richtige Person an der Spitze, um die Kundenorientierung sowie die Positionierung der Marken und Produkte weiter zu schärfen“, sagt Pötsch. Blume soll zudem mit dem gesamten Vorstand die Transformation weiter vorantreiben – mit einer Führungskultur, die den Teamgedanken in den Mittelpunkt stellt.
Wechsel zu Tesla?
Der letzte Satz stammt aus der Pressemitteilung und könnte einen Hinweis auf den Tropfen geben, der das Fass in Wolfsburg zum Überlaufen brachte: Diess wurden immer wieder Alleingänge vorgeworfen. Vermutlich fühlt sich eine oder mehrere der genannten Gruppen aus dem Aufsichtsrat nicht ausreichend auf die Reise mitgenommen.
Diess unterhält einen guten Draht zu Elon Musk. Angeblich gab es bereits vor längerer Zeit ein Angebot von Musk für Diess bei Tesla zu arbeiten. Man darf gespannt sein, wo Diess auftaucht, wenn er VW verlässt.
#PorscheGate trendet bei Twitter
Zeitgleich mit der Meldung zum Vorstandswechsel trendet bei Twitter der Hashtag #PorscheGate. Hintergrund ist ein Ausschnitt aus der ZDF-Sendung “Die Anstalt” vom 19. Juli 2022. Danach rühmt sich Oliver Blume auf einer Mitarbeiterveranstaltung mit seinem engen Kontakt zu Bundesverkehrsminister Christian Lindner. Während der Koalitionsverhandlungen habe Lindner ihn stündlich in Sachen E-Fuels auf dem Laufenden gehalten. Porsche hat ein gesteigertes Interesse an den synthetischen Kraftstoffen.
Trotz der Verkaufserfolge des elektrischen Taycans werden die übrigen Sportwagen der Marke noch viele Jahre mit Verbrennungsmotoren fahren. Die Porsche-Klientel könnte hier hartnäckig sein. Fahrverboten will man mit den vermeintlich nachhaltigen E-Fuels zuvorkommen. Dabei ist ein Verkauf von Neuwagen mit Verbrennungsmotor in der EU ab 2035 verboten. Die Hintertür E-Fuels ist eigentlich zu. Doch Porsche ist an einer Pilotanlage in Chile beteiligt, die aus Windstrom synthetische Kraftstoffe herstellt. Die E-Fuels sollen zunächst im Porsche-Motorsport zum Einsatz kommen. Das bedeutet: Die CO2-neutralen Kraftstoffen werden mit Schiffen um den halben Globus gefahren.
Auf Twitter wird ein einfaches Fazit gezogen: E-Auto-Diess muss für E-Fuel-Blume den Sessel freimachen. Ein Umschwenken bei Volkswagen in Sachen Elektromobilität sollte dann niemand überraschen.
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