Togg: Den Kotflügel tokenisieren – Golem


Golem

Die E-Autos von Togg aus der Türkei sollen Kunden mit innovativen Digitalangeboten begeistern. „Für uns ist es keine große Kunst, ein intelligentes E-Auto zu bauen“, sagt der CEO.

Gürcan Karakas ist seit 2018 CEO von Togg. Der Name steht für Türkiye’nin Otomobili Girişim Grubu, also türkische Automobil-Unternehmens Gruppe. Mit der elektrischen Limousine T10F und dem SUV T10X kommt das Unternehmen nun nach Deutschland, als erstem Exportland. Karakas kennt Deutschland gut, er hat 28 Jahre für Bosch gearbeitet.

Golem: Neben deutschen Autoherstellern dominierten chinesische Marken die diesjährige IAA Mobility. Wie wurde Togg in München wahrgenommen?

Karakas: Es kam ein älterer Herr zu unserem Stand in der Innenstadt und sagte: `Das ist der schönste Chinese, den ich gesehen habe.´ Dann haben unsere Leute geantwortet, wir sind keine Chinesen, wir sind Türken. `Aha, jetzt bauen die Chinesen auch in der Türkei.´ Er konnte es nicht glauben, dass aus der Türkei E-Autos kommen. Dabei sind unsere Fahrzeuge auf Europa zugeschnitten, beim Design, Kundenbedürfnisse und natürlich gesetzliche Vorgaben. Unsere 75.000 verkauften Autos wurden zweieinhalb Jahren auf der Straße gefahren. Ich kenne keinen fernöstlichen Hersteller, der europäische Modelle in seinem Heimatland so lange ausprobiert. Die werden auf den Schultern europäischer Kunden weiterentwickelt. Insofern haben wir einen anderen Reifegrad. Zudem entwickeln und fertigen wir in Europa, natürlich nach europäischer Datenschutz-Grundverordnung.

Togg T10F
Das zweite Modell ist eine Limousine, mit der Togg auch nach Deutschland kommt (T10F).

Golem: Ich habe Verständnis für das Unverständnis des älteren Mannes. Die Türkei ist nicht als Autonation bekannt. 

Karakas: Da täuschen Sie sich. Seit über 60 Jahren haben wir uns einen festen Platz in der europäischen Automobilproduktion erarbeitet. Für uns ist keine große Kunst, ein intelligentes E-Auto zu bauen. Uns ist bewusst, dass Megatrends wie Digitalisierung, Smart Gadgets Einfluss auf die Mobilität haben. Bei uns in Istanbul verbringt ein Autofahrer sechs, sieben Tage pro Jahr im Stop-and-Go Verkehr. Da erwarten Kunden, dass sie im Auto das machen können, was sie sonst im Wohnzimmer oder Büro machen. Unser Anspruch ist, Mobilität als Living Space neu zu definieren. 

Golem: Die Autobranche verändert die Architektur eines E-Autos, Stichwort Software Defined Vehicle. Gehen Sie da mit?

Karakas: Natürlich, die E/E-Architektur mit einer Aufteilung in Zonen ist ein neuer Ansatz. Das entwickeln wir alles selbst. Wenn Sie jetzt fragen, woher die Türken die Kompetenz haben, verweise ich auf die Luftfahrt, vor allem im Verteidigungsbereich. Da haben wir brillante Ingenieure, die programmieren können. Man muss das selbst machen, weil Sie sich die Einzelteile nicht wie Lego zusammenkaufen können. 

Golem: Arbeiten Sie ganz ohne Partnerunternehmen?

Karakas: Wir suchen uns jeweils die Nummer Eins oder Zwei im jeweiligen Feld. In Sachen KI kooperieren wir mit Microsoft. Der Fahrer kann bei der Routenplanung wählen, ob er möglichst schnell ankommen oder mit geringem Verbrauch unterwegs sein möchte. Bei einer Fahrt in den Urlaub kann er sich eine Gourmet-Route anzeigen lassen. Wir haben die KI mit allen Informationen beispielsweise Pressemitteilungen trainiert. Alle Kundenanfragen aus den Servicestationen sowie die Antworten dort einfließen lassen. Das System ist selbstlernend und wird so dem Kunden weiterhelfen. Auf diese Lösungen haben wir zu 100 Prozent die geistigen Eigentumsrechte.

Aber das bedeutet nicht, dass wir auch im klassischen Autobau alles selbst machen. Ich habe nicht die Ambition, was andere schon seit 100 Jahren machen, besser zu machen. Ich möchte mein Produkt im Digitalen besser machen. Die Nutzer können im Auto digitale Inhalte lesen, einkaufen, ein Film schauen oder mit Zustimmung ihre Gesundheitsdaten analysieren lassen.

Mit der App Tru More bündelt der Autohersteller die digitalen Angebote rund ums Auto. Dazu gehören eine Wallet für Kryptowährung, Partnerangebote sowie ein digitales Musikinstrument, mit dem Nutzer eigene Sounds für die Fahrt erstellen. Mit Tru Go hat Togg ein eigenes Netzwerk an Schnellladestationen in den 81 Provinzen der Türkei aufgebaut.

Golem: Das hört sich an, als ob Sie eine technisch interessierte Zielgruppe ansprechen. Wen sehen Sie in Deutschland als Autokäufer?

Karakas: Wenn wir gefragt hätten, was willst Du zukünftig im Auto machen, hätten wir keine konkreten Ideen bekommen. Also haben wir gefragt, was machst Du, wenn Du zuhause bist? Daraufhin haben wir uns 2.000 Ideen angeschaut, aus denen wir 350 Use Cases ausgewählt haben. Für die Umsetzung arbeiten wir mit Start-ups zusammen. Da geht es um Gamification, Smart Contracting, Blockchain und Cybersecurity. Alles Kompetenzen, die in der klassischen Autoindustrie nicht vorhanden sind. 

Wir haben auch abgefragt, wofür Kunden bereit wären Geld zu bezahlen. Alle Angebote rund um Location-Based-Services bei der Navigation bündeln wir in der Tru More-App unter Go.More. Bei Play.More findet man Spiele und Entertainment, bei Scale.More bieten wir Angebote unserer Kooperationspartner. Dann gibt es noch Earn.More. Hier verdienen Kunden Geld bzw. Vorteile. Wir haben einen Deal mit Turkish Airline, bei dem man im Auto Statusmeilen sammeln kann. Wo passt das Thema `Meilen sammeln´ besser als beim Autofahren?

Togg Fertigung in Gemlik
Togg-Fertigung in Gemlik

Golem: Planen Sie das auch mit der Star Alliance, in der die Lufthansa ist?

Karakas: Das ist die nächste Stufe. Wir haben die kontaktiert, aber da gibt es noch nichts Spruchreifes. Dafür können wir am Auto alle Bauteile tokenisieren. Wie nutzen Blockchain Smart Contracting. Die Infrastruktur steht, allerdings sind die konkreten Anwendungen noch nicht realisiert. Aber nehmen wir mal an, mein Freund Hakan leiht mit 100 Euro. Als Sicherheit will er meine Limousine T10F haben. Die ist aber mehrere Tausend Euro wert. Ich könnte ihm über unsere App True More in Form von Kryptowährung den Gegenwert von 100 Euro als digitale Sicherheit schicken. 

Wir haben also bereits ein Bezahlsystem in unserem Ökosystem, ohne auf eine Bank angewiesen zu sein. Das ist interessant bei Finanzierung und Betrieb von Fahrzeugflotten. Aber auch der Endkunde profitiert. Es entwickelt sich ein Handel mit Carbon-Credits, also Verschmutzungsrechten. Wenn Sie besonders umweltfreundlich fahren, nur Ökostrom laden und ihren Kaffee dort trinken, wo der CO2-Fußabdruck besonders gering ist, sammeln sie Carbon Credits. Die können sie in unsere Kryptowährung umtauschen. Ich würde sagen, damit sind wir anderen Herstellern etliche Schritte voraus.

Golem: Da sind Sie weit vom klassischen Auto weg. Wählen Ihre Käufer im Heimatmarkt Ihre Autos wegen dieser Ideen oder schwingt da auch Nationalstolz mit? 

Karakas: Es muss alles dabei sein. Es ist ein bisschen Nationalstolz, aber das Auto muss gut aussehen. Wir haben das Design mit Pininfarina und unserem Design-Chef Murat Günak gemacht, der drei Jahre lange die VW-Designabteilung geleitet hat. Wir haben potenzielle Nutzer befragt. Jede Linie, jeder Knick hat eine Geschichte. Wir wollten ein zeitloses, elegantes Design. Wenn Leute vom Verbrenner zum E-Auto umsteigen, haben sie ja schon eine Hürde. Da wollen wir nicht noch eine weitere beim Design haben. Es ist das erste Mal, dass ein neues Unternehmen mit zwei Modellen beim ersten Euro NCAP-Test fünf Sterne erhält.

Golem: Wie sieht ihre Käuferschaft vom Alter her aus?

Karakas: Von den 75.000 Fahrzeugen, die wir bislang verkauft haben, sind 80 Prozent der Kunden unter 55 Jahren. Die sind deutlich technikaffiner und wollen etwas Neues ausprobieren. 

Golem: Expandieren Sie neben Deutschland in weitere Länder?

Karakas: Zuerst nur nach Deutschland. Es ist für uns der größte Automarkt und auch der größte Wettbewerb. Das ist für uns die Höhle des Löwen, wenn wir uns hier behaupten, können wir auch in andere Länder gehen. 

Karakas sitzt auch im Aufsichtsrat von Siro Energy (Silk Road Clean Energy Solutions). Das ist ein 50:50 Joint Venture zwischen Togg und dem amerikanisch-chinesischen Unternehmen Farasis Energy. Der Aufbau einer eigenen Zell-Fertigung startete 2023 im türkischen Gemilik in der Nähe der Autofabrik. Dort werden Zellen für die E-Autos als auch stationäre Speicher gefertigt. Die Kapazität soll bis 2031 auf 20 GWh ausgebaut werden. 

Togg-CEO Gürcan Karakaş (links) zusammen mit seinem Aufsichtsrat und Anteilseigner Fuat Tosyalı. Mit der Tosyalı Holding ist er im Eisen- und Stahlhandel aktiv. Gleichzeitig ist der 64-jährige Vorstandsvorsitzender beim Nutzfahrzeugherstellers BMC. (Foto: Friedhelm Greis)

Golem: Sie betreiben mit dem Zellhersteller Farasis Energy ein Joint Venture. Welche Vorteile bietet Ihnen das bei der Fahrzeugproduktion?

Karakas: Keiner der Europäer hat eine eigene Zelltechnologie. Das wichtigste Bauteil im E-Auto wird eingekauft. Sie können sich ja vorstellen, wie man als Kunde bei koreanischen oder chinesischen Anbietern behandelt wird. Bei denen ist der Heimatmarkt näher dran. Die kriegen als erste die neueste Batteriegeneration mit höherer Energiedichte oder besserer Ladeleistung. In Europa haben sich alle Pläne für eigene Fertigungen beispielsweise mit ACC und Northvolt verschoben oder sind gescheitert.

Golem: Woran liegt das?

Karakas: Wenn sie Aufträge für Maschinen an Firmen vergeben, die alle anderen chinesischen Hersteller beliefern, kann das ein bisschen dauern. Man weiß nicht genau, was da hinter verschlossenen Türen läuft, aber alle europäischen Produzenten hatten mit langen Verzögerungen und Schwierigkeiten beim Hochlauf der Produktion zu kämpfen. 

Togg hat zum Start staatliche Unterstützung erhalten. Die Gründungsinitiative ging von Präsident Recep Tayyip Erdoğan aus, der seine Industrie aufforderte, ein türkisches Auto zu bauen. So entstand ein Joint Venture großer türkischer Industrieunternehmen sowie den Industrie- und Handelskammern. Die Togg-Gesellschafter kommen aus den Industriebranchen Stahl und Nutzfahrzeuge (BMC), Handel, Auto, Energie, Getränke (Anadolu), Mobilfunk (Turkcell) sowie Haushaltsgeräte (Zorlu Holding).

Golem: Sie haben einen Querschnitt der türkischen Industrie als Anteilseigner. Hilft das im Tagesgeschäft?

Karakas: Ja, sehr. Bei der Datenanbindung hilft mir der größte Mobilfunkprovider. Gleiches gilt für AI-Lösungen. Wir haben einen großen Handelskonzern mit über 2.000 Läden dabei. Somit haben wir Zugang zu Retail-Daten. Was wird gekauft? BMC hat in Europa die größten Investments in grünem Stahl. Die Marke Vestel aus der Zorlu Holding baut 12 Millionen Fernseher im Jahr. Ein guter Ansprechpartner bei Bildschirmen. 

Die Zentrale von Togg hat ihren Sitz in Gebze. Die Stadt liegt auf halben Weg von Istanbul nach Izmit. Die Fertigung entstand 75 km weiter südlich in Gemlik. Der Standort liegt in einem Erdbebengebiet. Daher wurden 44.000 Betonsäulen bis zu 20 Meter tief in den Erdboden gerammt. Darauf entstand die eigentliche Fertigung. Hier arbeiten heute 1.300 Menschen und bauen bis zu 175.000 Autos pro Jahr. Bis 2032 soll die Kapazität auf bis zu einer Million Autos pro Jahr anwachsen. Preise für Deutschland stehen noch nicht fest. In der Türkei startet die Limousine T10F bei umgerechnet 38.000 Euro und der SUV T10X bei umgerechnet 20.000 Euro. Die Umrechnungen sagen wenig aus, denn die türkische Lira hat innerhalb des vergangenen Jahres 22 Prozent beim Euro-Wechselkurs verloren. 

Dirk Kunde und Gürcan Karakas im Gespräch während der IAA Mobility 2025 in München
Dirk Kunde und Gürcan Karakas (rechts) im Gespräch während der IAA Mobility 2025 in München

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Bild von Dirk Kunde

Dirk Kunde

Elektroautos, Brennstoffzellen, stationäre Speicherbatterien, V2G, Ladeinfrastruktur, autonomes Fahren – die spannendsten Entwicklungen passieren im Bereich Mobilität. Darum geht es in meinen Artikeln und Videos. Als Journalist bin ich stets auf der Suche nach neuen Ideen für Mobilität von Morgen.

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