Herzlichen Glückwunsch! Wir haben einen würdigen Erben für das Reality Distortion Field von Steve Jobs gefunden. Der ehemalige Apple-Boss konnte sich die Realität so hinbiegen wie es ihm gefiel. Er ist damit gut gefahren. Tesla Chef Elon Musk, ebenfalls im Silicon Valley tätig, biegt auch ganz gewaltig, doch der Ausgang ist ungewiss …
Zu viele Sub-Sub-Unternehmer
In einem Brief an seine Mitarbeiter kündigt er eine Verdreifachung der ohnehin schleppend anlaufenden Model 3-Produktion an. Die Verarbeitungsqualität soll zehnmal besser ausfallen als bei jedem anderen Serienfahrzeug auf diesem Planeten, und mit seinen Elektroautos will er nun endlich Gewinne erzielen. Jede Ausgabe kommt auf den Prüfstand. Unter dem Titel “Progress, Precision and Profit” schreibt er: “Ich bin enttäuscht zu erfahren wie viele Zulieferer inzwischen bei Tesla eingebunden sind. Das ist wie bei einer russischen Matroschka-Puppe: Da steckt immer noch ein kleinerer Sub-Sub-Unternehmer drin, bevor man an den Punkt kommt, wo die eigentliche Arbeit erledigt wird.”
Es wird Zeit für Gewinne
Die Finanzabteilung werde jede Ausgabe auf den Prüfstand stellen. Kosten, die sich innerhalb von zwölf Monaten auf mehr als eine Million Dollar summieren, sind ab sofort eingefroren und müssen von Musk persönlich genehmigt werden. Jeder Zulieferer, der die neuen Qualitäts- und Mengenvorgaben nicht einhalten kann, hat ab kommenden Montag keinen Auftrag mehr. In der Wachstumsphase keinen Gewinn zu machen, sei für ein Unternehmen in Ordnung, so Musk. Doch sobald Skaleneffekte greifen, müssen auch bei Tesla die Einnahmen über den Ausgaben liegen. Dieser Punkt sei nun erreicht, schreibt der CEO.
6.000 Model 3 pro Woche
Die Model 3-Produktion in der Gigafactroy in Nevada (Batterien) und der Autofabrik im kalifornischen Fremont ruht für drei bis fünf Tage. Die Zeit werde genutzt, um die Fertigungstechnik zu erweitern. Nachdem Tesla gerade mal in drei Wochen die Latte von 2.000 Model 3 genommen hatte, wird dieses Ziel bis Ende Juni 2018 auf 6.000 Fahrzeuge pro Woche verdreifacht. Das bedeutet 857 Autos pro Tag. Dann werde im Dreischicht-Betrieb rund um die Uhr an sieben Tagen pro Woche gearbeitet. 400 weitere Mitarbeiter sollen an der Fertigungsstraße in Fremont Hand anlegen. Den eigentlichen Fahrzeugbau erledigen natürlich Roboter. Anders ist eine weitere Zielvorgabe von Musk nicht zu erreichen: “Wir arbeiten so lange weiter, bis die Fertigungsqualität beim Model 3 um den Faktor zehn besser ist als bei jedem anderen Auto auf diesem Planeten. Ich scherze hier nicht“, schreibt Elon Musk und sagt das auch im Interview mit CBS (bei 1:18″ Min.). Die Kritik an den Spaltmaßen und der allgemeinen Verarbeitungsqualität vom Model 3 muss ihn tief getroffen haben.
Tesla muss wieder schneller werden
Regelmäßige und lange Konferenzen bei Tesla sollen auf ein Minimum reduziert werden. Wer nichts zum Thema beitragen kann, soll aufstehen und das Meeting verlasen. Es plädiert für mehr “gesunden Menschenverstand” als das Einhalten von Regeln. Kommunikation sollte direkt und nicht hierarchisch erfolgen. Hier wird deutlich, Tesla kämpft mit den Wachstumsproblemen eines ehemaligen Start-ups. Inzwischen arbeiten 37.000 Mitarbeiter für den Hersteller von Elektroautos.
Musk ist Technologie-Fan, sprach immer von der “maschine that builds the maschine”, womit er die voll automatisierte Fertigung für das Model 3 meinte. Im Interview mit CBS gibt er dies als seinen Fehler zu (im Video bei 2:40″). Man habe ein komplettes Fließbandsystem wieder herausgerissen und hätte stärker auf Handarbeit setzen sollen, gibt Musk offen zu.
Zu viel neue Technologie im Model 3
Massenfertigung ist komplexer als Softwareprogrammierung. Musk hat seine ersten Millionen mit PayPal und anderen digitalen Ideen gemacht. Das musste der visionäre Unternehmer bereits beim Model S und X erfahren. Aktuell spricht er von der “Produktions-Hölle”. Als Begründung nennt er dafür im TV-Interview mit CBS (bei 2:20 Min.): “Wir haben zu viele neue Technologie auf einmal in das Model 3 eingebaut. Das hätte sukzessive erfolgen sollen.” Eine derartige Aussage lässt den kundigen Beobachter ratlos zurück. Was meint er bloß? Das war schon die Begründung bei den Problemen mit dem Model X (Flügeltüren). Aus der Erfahrung hat Tesla gelernt und das Model 3 bewusst einfach gehalten. Zu Produktionsbeginn gab es nur eine Variante mit Heckmotor (RWD) und der großen Batterie (75 kWh für 500 km Reichweite). Es stand noch eine zweite Felge zur Auswahl und man konnte den Autopiloten bestellen oder auch nicht. Vereinfacht gesagt, die Besteller konnten gerade mal die Farbe aussuchen. Alles andere stand bei der Fahrzeugkonfiguration fest, um die Produktion zu vereinfachen.
Wollte Musk ein Head-up-Display im Model 3?
Ich habe beim Model 3 sowieso den Verdacht, dass Elon noch etwas ganz anderes im Sinn hatte. Kurz vor der Präsentation des Model 3 im Design Center auf dem Gelände von Space X in Hawthorne twitterte er: “.. Teil 2, welche die Dinge auf ein ganz anderes Level hebt, folgt dann kurz vor Produktionsstart.” Doch es folgte nichts. Das Model 3 sah bei der ersten Übergabe Ende Juli 2017 an Mitarbeiter genau so aus wie der Prototyp, in dem ich Anfang April 2016 mit Chefingenieur Doug Field einige Runden drehen durfte. Mein Verdacht: Elon wollte ein Head-up-Display im Model 3. Ergibt absolut Sinn bei einem Fahrzeug, dessen einzige Anzeige sich in der Mitte zwischen Fahrer und Beifahrer befindet. Doch aus Kosten- und Komplexitätsgründen dürften seine Ingenieure ihm das ausgeredet haben. Dies und die Tatsache der reduzierten Konfigurationsmöglichkeiten beim Model 3 lassen die Produktionsprobleme beim Model 3 in einem anderen Licht erscheinen. Trotz Reduktion verläuft der Produktionsstart holprig.
Musks Brief wirkt wie der Versuch eines Befreiungsschlags – jetzt erst recht und zwar gigantisch. Er hält – mal wieder – seinen Mitarbeitern eine riesige Karotte vor die Nase. Die dürften darauf kaum “Appetit” haben. Sie fordern bessere und vor allem gesündere Arbeitsbedingungen in der Fertigung. Wie es hier aussieht, schildert ein detaillierter Bericht von Reveal. Der Artikel kommt für Elon Musk zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Die Stückzahl zu verdreifachen und auf Rund-um-die-Uhr-Fertigung umzustellen, dürfte nicht unbedingt mehr Raum für Arbeitssicherheit schaffen.
Fotos: Jay Watson