In der Berichterstattung über den Unterschied zwischen europäischen und chinesischen E-Autos wird oft die Karaoke-App aufgezählt. Bislang ist mir allerdings kein Testwagen aus China mit Gesangsapp untergekommen. Das ändert sich nun mit einer Probefahrt im Nio EL8. Es ist das sechste Modell der chinesischen Marke, das ab September in Deutschland, Dänemark, den Niederlanden, Norwegen und Schweden erhältlich ist. Mit 5,10 m Länge, 2,07 m Breite sowie 1,75 m Höhe ist es das größte als auch am umfangreichsten ausgestattete E-Auto von Nio.
Während aus der Soundanlage mit 23 Lautsprechern „Summer of 69“ von Bryan Adams erklingt, zeigt der 12,8 Zoll große AMOLED-Bildschirm nur das Cover an. Der Fahrer soll nicht vom Liedtext abgelenkt werden. Mitfahrer auf den übrigen fünf Plätzen laden den Text über die Webseite von Stingray.com auf ihr Smartphone. Die Mikrofone auf den einzelnen Plätzen erkennen, wer am besten den Ton getroffen hat und die meisten Punkte kassiert.
Gefahren werden
Der beste Platz in diesem SUV ist somit nicht unbedingt der Fahrersitz, auch wenn man die Wahl zwischen verschiedenen Massageprogrammen hat und der Sitz getrennt nach Sitzfläche und Rückenteil unterschiedlich stark belüftet oder erwärmt wird. Der Beifahrersitz lässt sich in eine komfortable Liegeposition bringen. Dazu klappt im Fußraum eine Ablage für die Füße aus. Allerdings bedeutet das aus Platzgründen den Verzicht auf ein Handschuhfach. Mein Beifahrer bleibt während der Testfahrt nicht lange entspannt liegen. Er hat Sorge, bei einem Auffahrunfall unter dem Sicherheitsgurt hindurchzurutschen.
Mittagessen warm machen
Für mich befinden sich die besten Plätze in der zweiten Sitzreihe. Es sind zwei Einzelsitze, deren Rücklehnen sich ebenfalls komfortabel nach hinten klappen lassen. Ausreichend Beinfreiheit ist in dem Wagen mit einem Radstand von 3,07 Metern gegeben. Mit dem Kopf im weichen Kissen hat man einen hervorragenden Blick durch das große Glaspanoramadach in den Himmel. Die Sitze verfügen jeweils über Getränkehalter und einen USB-C-Anschluss. Insgesamt gibt es sieben USB-Anschlüsse im Fahrzeug, von denen einer mit 60 Watt ausreichend Leistung für größere Geräte wie Laptops liefert.
In der Standard-Version ist zwischen den beiden Sitzen Platz, um zur dritten Sitzreihe zu gelangen. In der Executive-Version gibt es eine Mittelkonsole mit Staufächern als auch einer Fläche für kabelloses Laden für zwei Smartphones. Der Innenraum dieser Konsole ist wahlweise ein Kühlschrank oder ein Ofen. Wobei Wärmekammer es besser trifft, denn über die Heißluftfunktion der Klimaanlage wird der Inhalt auf bis zu 50 Grad Celsius erwärmt. Das bietet sich für ein mitgenommenes Mittagessen oder die Baby-Milchflasche an. Zielgruppe für den EL8 sind junge Familien. So verfügen die vier Sitze der zweiten und dritten Reihe über Isofix-Halterungen. Für die erste und zweite Reihe kann man die Klimatisierung für jeden Platz separat einstellen. Nur die Passagiere der dritten Sitzreihe müssen sich auf eine Temperatur einigen. Die beiden etwas tiefer positionierten Sitzflächen eignen sich vor allem für Kinder, bieten jedoch bei unserer Sitzprobe zwei Erwachsene ausreichend Kopffreiheit und genug Beinfreiheit für eine kurze Mitfahrt. Sind alle sechs Sitze belegt, bleiben im Kofferraum 256 Liter für Gepäck. Legt man die dritte Sitzreihe elektrisch um, stehen 810 Liter Stauraum zur Verfügung. Das Heck lässt sich zum leichteren Einladen 90 mm absenken. Der 12 Volt-Anschluss im Kofferraum versorgt beispielsweise eine Kühlbox. Wer mehr Gepäck mitnehmen will, kann bis zu 75 kg auf einem Dachträger transportieren. Die optionale Anhängerkupplung zieht bis zu 2.000 kg Last. Im Campingmodus wird der Innenraum mit Frischluft versorgt, falls man im Auto übernachtet.
Mario Kart-Feeling im großen SUV
Natürlich hat man auch auf dem Fahrersitz seinen Spaß. Mit dem 480 kW Allrad-Antrieb beschleunigt der Nio EL8 in 4,1 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h. Auf der Autobahn ist bei Tempo 200 Schluss. Bei der Geschwindigkeit sind die Windgeräusche deutlich hörbar, aber nichts klappert oder stört. Ein sechs Kolben-Bremssystem von Brembo mit einer Software von Bosch sorgt für sichere Verzögerung des 2,5 Tonnen schweren SUVs. Die Zweikammerluftfederung des Fahrwerks sorgt für Komfort bei hohem Tempo sowie bei schlechter Fahrbahnoberfläche.
Zur Erheiterung aktiviere ich mehrfach den Sport+ Modus durch Drücken zweier Lenkradknöpfe. Es ertönt ein Sound, der an das Spiel Mario Kart erinnert und das Fahrerdisplay rot färbt. Nun steht dem Fahrer die volle Beschleunigungsleistung zur Verfügung. Alle wesentlichen Informationen sieht der Fahrer auch im Head-up-Display mit einer Diagonale von 16,3 Zoll. Ein Druck auf den linken Knopf am Lenkrad aktiviert den Fahrassistenten. Nun hält der Nio EL8 Tempo, Abstand sowie die Spur. Für unseren Geschmack positioniert das System den Wagen einen Hauch zu weit rechts. Vermutlich ist das ein subjektiver Eindruck vom Fahrersitz aus gesehen. Leider akzeptiert der EL8 keine Korrektur innerhalb der Spur. Dafür glänzt der Assistent auf der Landstraße. Bei einem Kreisverkehr reduziert er das Tempo ausreichend stark, so dass man den Kreisel sicher durchfährt. Temposchilder werden korrekt erkannt, allerdings erfolgt die Anzeige im Display nicht vorausschauend, sondern erst im Moment des Passierens eines Schildes. Der Fahrer kann das veränderte Tempolimit über einen Knopfdruck am Lenkrad annehmen oder ignorieren.
