Jaguar ist Erster. Die Briten bringen im Sommer 2018 ein Elektroauto auf den Markt. Mit dem Jaguar I-Pace haben sie unter den etablierten europäischen Autoherstellern die Nase vorn. Die übrigen E-Modelle der üblichen Verdächtigen sind erst für 2019 angekündigt. Spätestens ab 2025 will Jaguar Land Rover (JLR) alle seine Fahrzeuge mit Verbrenner-, Hybrid- und Elektroantrieb anbieten. Um das Ziel zu erreichen, erhöht JLR seine Investitionen in den nächsten drei Jahren um rund ein Viertel auf 13,5 Milliarden Pfund (rund 15,3 Milliarden Euro).
Lieblingsauto der Queen
Wer über die Zukunft individueller Mobilität spricht, hat selten die etwas betulich wirkenden Luxusmarken Jaguar und Land Rover im Sinn. Stehen doch beide für hochmotorisierte Sport- und Geländewagen. Die Queen fährt Land Rover bzw. lässt sich darin fahren. Die kastenartigen Offroader werden seit 1948 in Großbritannien hergestellt. Die Marke mit der springenden Katze gibt es bereits seit 1922. Britischer geht es also kaum. Darum schmunzelten viele Beobachter als Ford im Jahr 2008 beide Marken an Tata Motors in Indien verkaufte.
Ironie der Geschichte: Seitdem der britische Autohersteller in der Hand eines Unternehmens seiner ehemaligen Kolonie ist, geht es steil bergauf. Die Inder lassen eine lange Leine, und JLR entwickelt sich prächtig. In den vergangenen acht Jahren hat sich der Umsatz knapp vervierfacht (von 6,53 auf 25,79 Milliarden Pfund). Die Mitarbeiterzahl wuchs von 16.400 auf 43.000. Und der Fahrzeugabsatz hat sich auf 614.000 Stück verdreifacht. Davon entfallen 28 Prozent auf Jaguar- und 78 Prozent auf Land Rover-Modelle.
Ford bekam die Kurve nicht
Vermutlich fließen in Detroit ein paar Tränen, wenn die Manager bei Ford sehen, wie sich die beiden Marken entwickelt haben. Doch damals gab es keine Alternative zum Verkauf. Die Finanzkrise, ausgelöst durch faule Immobilienkredite, hat sämtliche Autohersteller schwer getroffen. General Motors, war kurzzeitig insolvent und auf Staatshilfe angewiesen. Chrysler ist heute Teil von Fiat. Ford verkaufte für 2,3 Milliarden Dollar die beiden britischen Marken nach Indien. Es war ein schlechtes Geschäft für die Amerikaner. 1989 zahlten sie für Jaguar 1,6 Milliarden Pfund. Für Land Rover überwiesen sie im Jahr 2000 2,7 Milliarden Pfund an BMW. Bis zur Übernahme hatte Tata vor allem Busse, Lkw und Kleinwagen für den heimischen Markt produziert. Luxusmarken hat ihnen niemand zugetraut. Seit 2016 leitet Günther Butschek (ehemals Airbus und Daimler) als CEO das Geschäft von Tata Motors.
Er ist Deutscher und ich möchte kurz auf weitere Landsleute von ihm eingehen. Anscheinend ist das Know-how deutscher Automanager gefragt: Seit 2010 steht der Deutsche Dr. Ralf Speth an der Spitze von Jaguar Land Rover. Er kennt die Marken gut, denn vor dem Verkauf an Tata war er für Land Rover und Ford tätig. Der aktuelle Marketingchef, Felix Bräutigam, kommt von Porsche. Sebastian Peck leitet die Risikokapitaltochter des Autoherstellers. Wolfgang Ziebart hat während seiner beruflichen Laufbahn bei BMW, Continental und Infineon gearbeitet. Er ist der geistige Vater des I-Pace und heute als Technical Design Director für das Elektroauto verantwortlich.
Mitgerissen von der Dieselkrise
Doch in den Jubel über gestiegene Absätze und Umsätze mischen sich Schadstoffe. Die Dieselkrise trifft auch Jaguar Land Rover, selbst wenn in den Fahrzeugen keine Abschaltsoftware aktiv ist. Die schweren Geländewagen, als auch die großen Limousinen, werden von den Käufern gern mit Selbstzünder gekauft. Jetzt herrscht Zurückhaltung, weil Käufer nicht wissen, wo sie zukünftig mit Diesel-Autos noch fahren dürfen und wie sich der Wiederverkaufswert entwickelt. Darum hat der Hersteller im April angekündigt, 1.000 seiner 40.000 Mitarbeiter in Großbritannien zu entlassen. Neben der Dieselkrise wirkt hier auch die Unsicherheit über eine Zeit nach dem Brexit. Verlässt Großbritannien die EU, dürfte der Verkauf in Kontinentaleuropa komplexer als auch teurer werden.
I-Pace wird in Österreich gebaut
So rollt der elektrische I-Pace in Graz vom Band. Auftragsfertiger Magna übernimmt die Produktion in Österreich. Als ich Wolfgang Ziebart beim Genfer Autosalon nach den Gründen frage, begründet er es mit Kostenvorteilen. “Wir hätten in Stahl und Beton investieren können, um eine neue Fertigung in Großbritannien aufzubauen oder wir stecken das Geld in die Fahrzeugentwicklung“, so Ziebart. Doch wird der Brexit Realität, schadet es sicherlich nicht, auf Zollformalitäten bei der Auslieferung verzichten zu können.
Jaguar Land Rover schaut nicht nur nach vorn, sondern lässt seinen Blick auch links und rechts des Weges schweifen. Ihnen ist klar, dass die Zahl verkaufter Fahrzeuge zukünftig sinkt. Dienstleistungen wie beispielsweise Taxi- und Carsharing-Dienste boomen. Genau darum kümmert sich InMotion Ventures, das vom Deutschen Sebastian Peck geleitet wird. Zum Portfolio der Risikokapitaltochter gehören beispielsweise Lyft (Ridesharing), Cove (Carsharing), GoKid (Fahrgemeinschaften für Fussball-Mütter und -Väter) sowie Dovu (Blockchain-Anwendung für Mobilitäts-Anbieter).
Im Herbst 2017 lädt JLR zu einem “Tech Fest” in die Londoner Kunsthochschule Central Saint Martins. Hier diskutieren Experten unterschiedlichster Bereiche über die Digitalisierung der Mobilität. Es ist ein spannender 360-Grad-Blick und keine plumpe Verkaufsveranstaltung.
Stolz auf die Vergangenheit
Dabei schaut man bei JLR gern zurück. Sollte man auch, denn der Jaguar E-Type ist nichts weniger als die Mutter aller Sportwagen. Zum Glück lässt der indische Mutterkonzern die Briten machen. So gründen sie die Special Vehicles Operation. Diese Abteilung kümmert sich um das automobile Erbe. Im neuen Technikzentrum in Coventry arbeiten 1.200 Mitarbeiter an besonders leistungsstarken Fahrzeugen (Jaguar XE SV Project 8) sowie limitierten Sondermodellen (Range Rover SV Coupé, F-Type Project 7). Zudem werden Oldtimer von Sammlern restauriert. In drei dieser Sonderprojekte durfte ich bereits Platz nehmen. Der F-Type Project 7 ist ein offener Zweisitzer, der optisch an den D-Type angelehnt ist. Damit gewann Jaguar drei Mal in Folge (1955 bis 1957) das 24-Stundenrennen in Le Mans. Insgesamt gingen in Frankreich sieben Mal Jaguar-Rennwagen als schnellste durchs Ziel – darum Project 7. Auf öffentlichen Straßen ist der V8-Motor mit seinen 575 PS der absolute Wahnsinn. In den Genuss kommen allerdings nur 250 Käufer zu Preisen ab 155.000 Euro. Vom Range Rover SV Coupé gibt es immerhin 999 Stück. Mit dem Zweitürer feiert JLR das 70. Jubiläum seines Offroaders. Der erste war 1948 ein Zweitürer. Schöne Idee und netter Bogen zu den Anfängen. Doch in dieser Preisklasse, bei dem Klientel und der individuellen Innenausstattung, würde ich die zwei hinteren Türen schmerzlich vermissen. Das Basismodell des Luxus-Geländewagens startet bei 273.000 Euro. Hinzu kommen zwischen 17.000 und 114.000 Euro für die maßgeschneiderte Innenausstattung.
Sechs neue alte Jaguar E-Type Lightweight
„Wie jede gute Geschichte, beginnt auch diese in einem Pub“, erzählt Ian Callum, als ich die Fertigung in Whitley bei Coventry besuche. Callum ist eine Ikone in der Autobranche. Der Schotte ist Chefdesigner bei Jaguar. Er war zuvor für Ford und Aston Martin tätig. Bei letzterem entwarf er den berühmten DB 7 sowie den Vanquish. Mit einem Kollegen sitzt Callum 2013 beim Bier im Pub. Der Kollege erzählt die Anekdote, dass 1963 eigentlich 18 Chassisnummern für den E-Type Lightweight im Produktionsbuch angelegt wurden. Doch aus Gründen, die heute nicht mehr nachzuvollziehen sind, entstehen nur zwölf Sportwagen mit Alu-Karosserie. Die Zeilen hinter den Chassisnummern 850670 bis 850675 bleiben leer. Warum man sich damals für das Leichtmetall entschied, ist überliefert. Die italienische Konkurrenz hat mit dem Ferrari 250 Testa Rossa in Le Mans mehrfach die Nase vorn. Da kann die britische Stahlkarosserie nicht mithalten. Also muss er Gewicht verlieren.
“Die fehlenden sechs Lightweights sollten wir noch bauen“, sagt Callum in der Bierlaune. Gesagt, getan. Die sechs E-Type Lighweight entstehen in Handarbeit so, wie sie 1963 geplant waren. Gleicher Motor, gleicher Tankstutzen (der viel zu groß ist, weil er von den Londoner Doppeldecker-Bussen stammt), die gleichen Gummibänder, die den Tank im Heck fixieren. Als ich 2015 im spanischen Navarra einige Runden in dem modernen Oldtimer auf einer Rennstrecke drehe, sind die sechs Autos längst verkauft – Stückpreis eine Million Pfund.
E-Type – endlich stimmt die Typenbezeichnung
Der Hersteller meint es ernst mit der Elektrifizierung und bietet einen Elektromotor im klassischen E-Type an. Immerhin stimmt jetzt die Typenbezeichnung. Die Ingenieure bauen Tank und Motor aus und setzen Batterie, Elektromotor und Steuerungselektronik ein. Fertig ist der E-Type Zero. Jaguar zeigt den Wagen auf dem Tech Fest in London. Im Sommer 2018 verlassen Prinz Harry und seine frisch angetraute Megan Markle darin die Hochzeitsfeier auf Windsor Castle.
Natürlich ist der elektrische E-Type eine Spielerei. Doch verdeutlicht er Jaguars Überzeugung, dass batterieelektrischen Fahrzeugen die (nähere) Zukunft gehört. Außerdem können Oldtimer-Besitzer so ein drohendes Fahrverbot umgehen und aus ihrem rauchenden E-Type ein E-Type Zero machen. (Ja, mir ist schon klar, dass kein Oldtimer-Fan mit Begeisterung auf einen Elektroantrieb umsteigen wird.) Ein weiterer Beleg für die Bedeutung der Elektromobilität ist Jaguars Engagement in der Formel E. Noch vor den großen deutschen Autoherstellern, die nun nachrücken, ist Jaguar seit der Saison 2016/2017 am Start. In der kommenden Saison 2018/2019 bietet Jaguar 20 Nachwuchsfahrern in seiner eigenen Rennserie, der I-Pace eTrophy, eine Chance auf einen Startplatz.
Die Zukunft fährt autonom
Mit dem Future Type hat Jaguar bereits eine Vision für seinen Fahrzeuge ab 2040. Das elektrische Auto fährt autonom und wird von mehreren Nutzern geteilt. Man besitzt nur noch das Lenkrad, das als stylisches Gadget daheim die Verbindung zum Carsharing-System herstellt, aber auch Musik, Adressen und Sitzposition speichert. Das wird noch etwas dauern und das Lenkrad “Sayer” ist vor allem eine Idee, deren Realisierung ungewiss ist. Deutlich konkreter ist die Zusammenarbeit mit Waymo. Das Tochterunternehmen von Alphabet (besser bekannt als Google) entwickelt selbstfahrende Autos. Der I-Pace wird das erste Elektroauto in der Testflotte. Der Vertrag umfasst bis zu 20.000 I-Pace, die Waymo für seinen Fahrdienst einsetzen könnte.
Fazit
Nach meinem Besuch bei Byton in China, bin ich fest davon überzeugt, dass Elektromobilität maßgeblich in Asien geformt wird. Aber nach der intensiven Auseinandersetzung mit JLR, als auch meinen kurzen Testfahrten im I-Pace (in Genf und bei der Formel E in Berlin) bin ich guter Hoffnung, dass auch Jaguar Land Rover ein Wörtchen mitzureden hat.